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In Fachzeitschrift erschienen: Offener Brief von jungen Menschen an die Fachkräfte aus Psychatrie und Jugendhilfe

erschienen in:Forum Erziehungshilfen 4/2019, S. 195

Zwischen November 2018 und April 2019 hat der Kinder- und Jugendhilferechtsverein mit 13 jungen Menschen aus dem ganzen Bundesgebiet, die Erfahrungen mit Freiheitsentziehung in Jugendhilfe und Psychiatrie gemacht haben, drei Wochenendworkshops in Berlin, Hamburg und Dresden veranstaltet. In diesen Workshops haben sie ihre Geschichten erzählen können, sich gegenseitig befragt und nach gemeinsamen Erfahrungen gesucht.Ziel des Projektes war es, dass sie eine Broschüre erarbeiten, die anderen jungen Menschen, die in ähnliche Situationen kommen, Unterstützung bieten kann. Und sie haben ihre Erfahrungen in Form eines Offenen Briefes an Fachkräfte aus Psychiatrie und Jugendhilfe formuliert. Dieser Offene Brief ist nun in der Fachzeitschrift „Forum Erziehungshilfen“ erschienen und kann so den fachlichen Diskurs um Geschlossene Unterbringung und Freiheitsentziehende Maßnahmen anreichern. Denn diese Zwangsmaßnahmen gegen den Willen der Betroffenen nehmen zu.

Die Broschüre erscheint Anfang Februar 2020 in leichter Sprache.

Das Projekt wurde unterstützt mit Mitteln der Aktion Mensch.

Der Text des Offenen Briefes:

„Offener Brief an die Fachkräfte aus Psychiatrie und Jugendhilfe
Hallo Fachkräfte…wir müssen reden!
Uns* wurde in der Jugendhilfe und der Psychiatrie die Freiheit genommen. Wir haben das in verschiedenen Arten und Formen erlebt. Manches hat manchen von uns geholfen, aber vieles sehen wir sehr kritisch. Wir haben erlebt, …
• dass wir fixiert wurden über Stunden & Tage,
• dass wir in den „Time- Out Raum“ gesperrt wurden,
• dass uns zwangsweise Medikamente verabreicht wurden z.T. auch durch Spritzen,
• dass wir Einschluss in unsere eigenen Zimmer hatten,
• dass Gewalt gegen uns ausgeübt wurde,
• dass uns kalt war, dass wir uns unwohl fühlten & entwürdigt wurden,
• dass wir durch Entkleidung öffentlich beschämt wurden,
• dass wir abhängig davon waren, dass wir nicht die Entscheidung hatten, wann wir uns wieder beruhigt haben & die Maßnahme enden kann.
Wir haben das oft nicht als Hilfe erlebt, es war mehr eine Strafe. Wir glauben, das geht auch anders! Wir erwarten von euch Fachkräften, dass ihr eure Praxis überdenkt. Freiheitsentziehung darf keine Strafe sein, sondern darf nur ausnahmsweise genutzt werden, um uns zu helfen! Deshalb erwarten wir von euch Fachkräften…
• Keine Machtdemonstrationen gegenüber uns!
• Dass ihr für unsere Sicherheit sorgt, statt uns zu überwachen!
• Dass ihr euch dafür einsetzt, dass wir mehr Privatsphäre haben!
• Wir wollen auch, dass ihr unsere Selbsteinschätzung ernst nehmt und versucht, uns wirklich zu verstehen!
• Wir möchten wahrgenommen und nicht ignoriert werden!
• Wir möchten, dass ihr uns gut erklärt was ihr mit uns macht & warum!
• Wenn ihr uns Medikamente gebt, möchten wir wissen, welche Ziele und Wirkungen das haben soll!
• Wenn ihr Zwang anwendet, dann müsst ihr euch an das Recht und die Fachempfehlungen halten, sonst macht ihr euch strafbar!
• Wir möchten, dass wir uns aussuchen dürfen, mit wem wir intime Gespräche führen!
• Wir erwarten, dass auch ihr Kritik aushaltet & Fehler, die passiert sind, einseht!
• Wir erwarten, dass wir Zugang zu externen Personen bekommen, um uns beschweren zu können.
Macht euch Gedanken, ob das, was ihr tut, uns wirklich hilft. Wir erwarten von euch allen, dass ihr menschlich mit uns umgeht. Wir sind bereit, mit euch über unsere Erfahrungen zu sprechen.
Hamburg, April 2019
* 13 Jugendliche aus dem ganzen Bundegebiet haben sich zu 3 Workshops im Frühjahr 2019 in Berlin, Hamburg und Dresden getroffen. – www.jugendhilferechtsverein.de

Informationen zum Projekt:

Erfahrungen von jungen Menschen mit der Freiheitsentziehung in Jugendhilfe und Psychiatrie im Kontext des § 1631 b BGB
Jedes Jahr werden bundesweit hunderte junge Menschen in Einrichtungen der Jugendhilfe und der Psychiatrie freiheitsentziehend untergebracht. Die Grundlage für diese Freiheitsentziehung bildet der Paragraf 1631 b BGB. Im Jahr 2017 wurde dieser Paragraf erweitert. Im Kern wurden zwei Sachverhalte neu geregelt: Zum einen wurde gesetzlich festgelegt, dass nicht nur die Unterbringung in geschlossenen Einrichtungen von einem Familiengericht genehmigt werden muss, sondern auch jede einzelne freiheitsentziehende Maßnahme in Einrichtungen, selbst wenn diese nicht geschlossen unterbringen. Darüber hinaus braucht es nun für jede Maßnahme und jede Unterbringung jeweils eine separate familiengerichtliche Genehmigung.
Diese gesetzlichen Änderungen hat der Kinder- und Jugendhilferechtsverein e.V. (KJRV) zum Anlass genommen, um mit jungen Menschen ins Gespräch zu kommen über ihre Erfahrungen und Wahrnehmungen mit geschlossenen Einrichtungen der Jugendhilfe und der Psychiatrie sowie mit freiheitsentziehenden Maßnahmen in Einrichtungen: Mit Mit Unterstützung der Aktion Mensch kamen in drei Workshops jeweils für ein Wochenende nacheinander erst in Berlin, dann in Hamburg und später in Dresden im Frühjahr 2019 insgesamt 13 junge Menschen aus dem Bundesgebiet zusammen, die Erfahrungen in solchen Einrichtungen oder mit solchen Maßnahmen gemacht haben. Mit diesen jungen Menschen hat der KJRV reflektierende Gruppengespräche und Diskussionen geführt, die dazu beitragen sollten, dass die jungen Menschen ihre jeweiligen Erfahrungen mit anderen teilen und abgleichen. Ziel dieser Seminare war es, im Ergebnis eine Broschüre für junge Menschen zu erarbeiten, die von Freizeit in der Unterbringung oder freiheitsentziehenden Maßnahmen betroffen sind oder betroffen sein werden. Die Broschüre wird von den teilnehmenden jungen Menschen selbst erstellt mit ihren eigenen Erfahrungen und in ihrer Sprache. Im Sommer 2019 wird diese Broschüre in hoher Stückzahl in ansprechendem Layout und mit entsprechender Öffentlichkeitsarbeit bekannt gemacht werden. In jedem Jugendamt und jedem Familiengericht sollen diese Broschüren dann verfügbar sein, damit sich junge Menschen, die freiheitsentziehend untergebracht werden sollen oder an denen freiheitsentziehende Maßnahmen vollzogen werden sollen, über ihre Rechte informieren können. Für die Erstellung dieser Broschüre war es wichtig, die Erfahrungen der jungen Betroffenen zur Kenntnis zu nehmen und sie ins Gespräch über diese Erfahrungen zu bringen. Außerdem wurden zwei Jurist_innen dazugezogen, mit denen diese Erfahrungen rechtlich eingeordnet werden konnten.