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Bericht über das Fachforum des Bundesnetzwerks Ombudschaft auf dem 17. Deutschen Jugendhilfetag

Zwischen Fachlichkeit, Macht & Willkür - Jugendhilfeerfahrene, Wissenschaft & Ombudschaft im Gespräch zu Hilfe(planung)

Zwischen dem 18.05. und 20.05.2021 fand in diesem Jahr der digitale Deutsche Jugendhilfetag mit zahlreichen Veranstaltungen statt. Auch das Bundesnetzwerk Ombudschaft war mit verschiedenen Formaten „vor Ort“. Neben dem digitalen Stand des Bundesnetzwerks und dem von Aktion Mensch geförderten Videoprojekt „Hört doch mal zu“, welches auf dem DJHT Premiere feierte, fand am Donnerstag, den 20.05.2021 das Fachforum des Bundes-netzwerks statt. Die Fachveranstaltung mit dem Titel „Zwischen Fachlichkeit, Macht und Willkür. Jugendhilfeerfahrene, Wissenschaft & Ombudschaft im Gespräch zu Hilfe(planung)“ hatte zum Ziel, insbesondere die Perspektive derjenigen in den Mittelpunkt zu stellen, welche unmittelbar von den Entscheidungen in der (Hilfe)planung betroffen sind – nämlich die jugendhilfeerfahrenen Menschen selbst.

Kernstück der Veranstaltung war daher eine Podiumsdiskussion, im Rahmen derer vier jugendhilfeerfahrene Frauen mit zwei Ombudspersonen über ihre Erfahrungen mit der Jugendhilfe, der Hilfeplanung und -gestaltung diskutierten. Diese wurde gerahmt durch eine Einführung in das Thema Ombudschaft in der Jugendhilfe zu Beginn, und einen wissenschaftlichen Beitrag im Anschluss, der wesentliche Aspekte der Podiumsdiskussion in den Fachdiskurs rückgebunden hat.

 

Die Veranstaltung wurde nicht aufgezeichnet, um insbesondere den jugendhilfeerfahrenen Menschen ein freies und vertrauensvolles Sprechen zu erleichtern. Stattdessen wurde das Fachforum fortlaufend illustratorisch durch ein Graphic Recording von Susanne Asheuer vom Netzwerk „Graphic Recording“ begleitet und somit visuell dokumentiert. Zudem wurde das Forum durch Alexandra Lorenz und Andrea Knipping in Gebärdensprache simultan übersetzt.

Kernstück der Veranstaltung war eine Podiumsdiskussion mit vier Jugendhilfeerfahrenen

Henriette Grapentin vom Kinder- und Jugendhilferechtsverein e.V. in Sachsen moderierte die Veranstaltung und eruierte zu Beginn, aus welchen Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe ein Interesse an der Fachveranstaltung bestand: So kamen 22 Prozent der Teilnehmenden aus dem Bereich Wissenschaft/Hochschule, 17 Prozent aus den Jugendämtern selbst, 32 Prozent waren Fachkräfte aus den Hilfen zur Erziehung. Die restlichen Teilnehmenden ka-men aus anderen Bereichen. Nach einer Einführung in die ombudschaftliche Tätigkeit in der Kinder- und Jugendhilfe durch Lydia Tomaschowski (Bundeskoordinierungsstelle Ombudschaft in der Jugendhilfe) startete die Podiumsdiskussion, moderiert durch Ulli Schiller vom Berliner Rechtshilfefonds Jugendhilfe e.V. sowie Björn Redmann vom Kinder- und Jugendhilferechtsverein e.V. in Sachsen. Leene und Ramona, die beide als Mutter (Jugend-)Hilfe gesucht hatten, sowie Jess und Robina, die als Jugendliche in stationären Jugendhilfeeinrichtungen lebten bzw. leben, tauschten sich mit den beiden Vertreter*innen der Ombudsstelle in Sachsen und Berlin über ihre Erfahrungen mit Hilfe(planung) aus: Unzufriedenheit in und mit den Hilfeverläufen wurden hierbei kritisch reflektiert sowie Verbesserungsvorschläge und Wünsche der Adressat*innen thematisiert. Wiederkehrend wurde von allen vier Diskussionsteilnehmerinnen sehr deutlich benannt, dass sie sich von den Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe nicht gehört oder ernst genommen fühlten. Sie beschrieben teils „wie Objekte“ behandelt worden zu sein, welche fremdbestimmt wurden und keinen Einfluss auf die Hilfegestaltung und die Zielsetzungen der Hilfe nehmen konnten, obwohl sie durchaus eigene Ideen zur weiteren Hilfegestaltung hatten. Alle Vier hatten jedoch keine Kenntnis davon, wie z.B. ein Hilfeplangespräch eigentlich gedacht ist und welche (Beteiligungs-)Rechte sie dabei gehabt hätten. Sie beschrieben, dass vor allem die Fachkräfte mit ihren Überzeugungen und Sichtweisen den Hilfeprozess dominieren würden. Auch wurde in den Schilderungen deutlich, dass eine umfassende Beratung und Aufklärung zu Rechten in der Kinder- und Jugendhilfe sowie den Strukturen der Jugendhilfe fehlte. Alle vier wandten sich zu unterschiedlichen Zeitpunkten in ihrer Hilfegeschichte an die Ombudsstellen in ihrem Bundesland und beschrieben, dass sie hier das erste Mal Gehör fanden und Prozesse besser einordnen und verstehen konnten. Übereinstimmend beschrieben Jess, Ramona, Leene und Robina, dass sie sich mehr Empathie seitens der Fachkräfte sowie ein stärkeres Einfühlen in die jeweiligen Situationen der Hilfesuchenden wünschen würden, sodass wirklich auch pädagogische Arbeitsbeziehungen entstehen könnten. Dies konkretisierten sie u.a. anhand der konkreten Raumgestaltung, in dem ein Hilfeplangespräch stattfindet: Wenn bspw. statt eines nicht gut riechenden Büroraumes mit sehr vielen Akten, die zudem erdrückend wirkten, oder (wie in einem Fall berichtet) einem Kellerraum ohne Tageslicht, ein ansprechender, freundlicher Raum gewählt würde, wäre schon einiges leichter. Auf eine Frage aus dem Chat, ob die Hilfeplangespräche besser in den Räumen des Jugendamtes oder lieber bei den Menschen zu Hause bzw. in der Wohngruppe stattfinden sollte, war die Antwort einfach wie eindeutig: Die Fachkräfte sollten betroffenen Menschen einfach danach fragen. 

Jugendhilfeerfahrene wünschen sich mehr Empathie sowie ein stärkeres Einfühlen in die jeweilige Situation der Hilfesuchenden seitens der Fachkräfte

Die offenen und ehrlichen Erzählungen und Sichtweisen der vier Frauen fanden bei den Teilnehmer*innen des Fachforums großen Anklang. Bereits während des Podiumsgesprächs füllte sich der Chat mit zahlreichen Posts, die deutlich werden ließen, dass die Teilnehmenden ähnlich beeindruckt von der Ehrlichkeit, Offenheit und Klarheit der jugendhilfeerfahrenen Menschen wie die anwesenden Moderator*innen waren: „Ich habe die Emotionen bis hier her gespürt. Danke für die Offenheit. Mutig, ihre Geschichten zu teilen.“, „Ganz herzlichen Dank an Sie/Euch als Betroffenen und Adressat*innen der Kinder- und Jugendhilfe für Ihre/Eure Offenheit, Mut und den Wunsch zu einer Verbesserung auch für andere beizutragen!“, „Es ist so wichtig, euch als Betroffene, als Jugendhilfeerfahrene selbst zu hören!“

Der Beitrag von Ulrike Urban-Stahl, brachte zentrale Aspekte der Podiumsdiskussion in Verbindung mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Perspektive von Adressat*innen

Nach diesen – teils sehr aufwühlenden und emotionalen Schilderungen – folgte der Beitrag von Ulrike Urban-Stahl, welche zentrale Aspekte der Podiumsdiskussion in Verbindung mit wissenschaftlichen Erkenntnissen brachte und verdeutlichte, warum die Perspektive von Adressat*innen so zentral für Praxis und Forschung ist und in welches strukturelle Gefüge sich hier wiederum das Handlungsfeld der Ombudschaft einordnet. So nahm sie die strukturellen Einflüsse und Interessenslagen in Hilfeplanung und Hilfeerbringung gezielt in den Blick und verdeutlichte die Sicherung von Betroffenenrechten als Kernaufgabe sozialpädagogischer Organisationen, um nicht zuletzt der fachlichen Verantwortung in der Kinder- und Jugendhilfe gerecht zu werden.

 

 

Zum Abschluss führte Henriette Grapentin die unterschiedlichen Perspektiven der Veranstaltung zusammen. Die Teilnehmenden gestalteten eine Mentimeter-Wortwolke, in dem sie aufschrieben, welches Wort ihnen zum Abschluss des Fachforums durch den Kopf ging. Das am häufigste genannte Wort war hier: Empathie.

Das Fachforum hatte sich zum Ziel gesetzt durch das Einnehmen einer kritisch-reflexiven Perspektive zu einer guten Praxis der Kinder- und Jugendhilfe beizutragen und gelingende Hilfeprozesse zu unterstützen, indem Gelingensfaktoren und Stolpersteine herausgearbeitet werden. Durch die vielen positiven Rückmeldungen von vielen der kontinuierlich ca. 180 Teilnehmer*innen wurde deutlich, dass die Inhalte des Fachforums durchaus Zustimmung erfahren haben und das Konzept gewissermaßen aufgegangen ist. Hier dazu zwei Stimmen aus dem Chat: „Ganz herzlichen Dank für die außergewöhnlich tolle Veranstaltung, Ihre Ein-blicke, Mut, wo:menpower, Infos, Links – und für eure/Ihre klare Haltung!“, „Diese Veranstaltung war mein bisheriges DJHT-Highlight – ganz herzlichen Dank an alle Beteiligten, für den Mut zum Teilhabelassen und die besonderen Ideen (z.B. auch die Comic-Zeichnung zur Dokumentation der Impulse)!!“

 

Mit dem Rückenwind und der Anerkennung aus dem Fachforum werden sich die bundesweiten Ombudsstellen nun weiter beständig dafür einsetzen, dass Anliegen und Sichtweisen von Adressat*innen in Hilfeprozessen stärker beachtet und ihre individuellen Rechte umgesetzt werden, da in der alltäglichen Beratungspraxis Fragen der Beteiligung an der Hilfeplanung immer wieder eine große Rolle spielen und oft ein Knackpunkt in den Beratungsprozessen darstellen.

 

 

In diesem Sinne sollen auch nicht Fachkräfte das letzte Wort in diesem Veranstaltungsbericht haben, sondern Leene, welche am Podiumsgespräch beteiligt war: „Jetzt ist es schon ein paar Wochen her, dass der 17. digitale Jugendhilfetag stattfand. Der Stolz und der Mut den ich an diesem Tag hatte, hat immer noch bestand und ist immer noch so fühlbar! Wenn nur 10 Menschen dies auch gefühlt haben und das an 10 Menschen oder Mitarbeiter:innen weiter gegeben haben, dann haben wir schon sehr viel geschafft! Dafür bin ich so dankbar. Dies ist ein echt mega tolles Gefühl! Viele Liebe Grüße an alle die mitgemacht haben und dabei waren. Eure Leene“

 

Verfasserinnen:
Henriette Grapentin (Kinder- und Jugendhilferechtsverein e.V.) und Lydia Tomaschowski (Bundesnetzwerk Ombud-schaft in der Jugendhilfe e.V.)

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