Die ombudschaftliche Beratungsarbeit in der Kinder- und Jugendhilfe gewinnt zunehmend an Bedeutung. Im Folgenden möchten wir Interessierten einen Einblick in die Arbeit des Kinder- und Jugendhilferechtsvereins e.V. geben.
Im Jahr 2019 wurden in der Fachstelle insgesamt 236 Beratungsanfragen begleitet. Das sind 61 Anfragen und damit knapp 35 Prozent mehr als im Jahr 2018. Es zeigt sich, dass die Inanspruchnahme ombudschaftlicher Beratung weiterhin stetig zunimmt. Diese Beratungen organisiert der Kinder- und Jugendhilferechtsverein e.V. mit ehrenamtlich beratenden Fachkräften, welche eine einschlägige Ausbildung im sozialpädagogischen oder juristischen Bereich vorweisen müssen und über langjährige Erfahrungen in der Kinder- und Jugendhilfe verfügen.
Da die Anzahl an ehrenamtlich tätigen Berater_innen trotz aller Anstrengungen nicht proportional zum Anstieg der Beratungsfälle wächst, sind die hauptamtlichen Koordinator_innen selbst auch zunehmend in der direkten Beratungsarbeit tätig, um dieser Herausforderung zu begegnen. Es zeigt sich hier die Notwendigkeit, die Möglichkeiten ehrenamtlichen Engagements konzeptionell weiter zu entwickeln. Die Erfahrung und Expertise der ehrenamtlich Tätigen in der konkreten Beratungsarbeit stellt eine ebenso tragende Säule in der Arbeit des Kinder- und Jugendhilferechtsvereins e.V. dar wie der fachlich-kollegiale, interdisziplinäre und vor allem auch intergenerationale Austausch, der durch die Präsenz der Ehrenamtlichen im Verein immer wieder ermöglicht und lebendig gehalten wird.
In den im Jahr 2019 geleisteten 105 rein ombudschaftlichen Beratungen haben ehrenamtliche Berater_innen fallführend Beratungsprozesse übernommen oder die hauptamtlichen Berater_innen innerhalb der Beratungen mit ihrer rechtlichen und fachlichen Expertise unterstützt. Ombudschaftliche Beratungen finden in der Regel in einem Berater_innen-Tandem statt, d.h. es beraten zwei Berater_innen gemeinsam in einem Fall. In den auswärtigen 36 Beratungsanliegen im Jahr 2019, deren räumlicher Bezugspunkt außerhalb des Wirkungskreises des Vereins liegen, wurden lediglich telefonische Beratungen durch die Hauptamtlichen geleistet. Hinsichtlich des Anstieges der Anzahl auswärtiger Beratungsanfragen lässt sich ein Zusammenhang mit dem Vorhandensein von Ombudsstellen vor Ort vermuten: Nach dem Aufbau des Beratungsstandortes Leipzig gingen die auswärtigen Anfragen statistisch gesehen zurück. Mit dem Aufbau des Standortes Chemnitz/Westsachsen – und infolge der Schaffung von Ombudsstellen in umliegenden Bundesländern (dort, wo es aktuelle Bestrebungen dazu gibt) – ist von einem ähnlichen Effekt auszugehen. Zu den sehr breit gefächerten Themenfeldern bei den 95 „reinen“ Anfragen ist zu bemerken, dass hier entweder an andere geeignete Beratungsstellen (insbesondere bei Sorge- und Umgangsstreitigkeiten) und jeweils zuständige Ansprechpartner verwiesen werden musste, oder es Fachkräfte/sonstige Personen waren, die stellvertretend für die eigentlich betroffenen jungen Menschen/Eltern um Beratung ersuchten. In etwa 20 Prozent der auswärtigen und reinen Anfragen erforderte die Klärung des formulierten Anliegens der kontaktaufnehmenden Person dennoch mehr als ein telefonisches Gespräch.
Zwischen 2013 und 2019 haben 836 Menschen um Beratung und Unterstützung bei der Ombudsstelle (FOSA) gebeten. Die stichprobenartige Auswertung von 659 Falldokumentationen aus den letzten sieben Jahren zeigt, dass sich nach wie vor am häufigsten Mütter an die Ombudsstelle wenden. Im Jahr 2019 stellten in 25 Prozent aller Anfragen die Mütter den Erstkontakt her. Sie sind in der Regel auch diejenigen, die die Erziehungsverantwortung im Alltag tragen. Aus einer bundesweiten Erhebung ergibt sich, dass knapp 67 Prozent der Hilfen zur Erziehung von Alleinerziehenden oder Patchworkfamilien in Anspruch genommen werden, d.h. in der Regel von Müttern1 .
An zweiter Stelle steht eine – mit 23 Prozent im Jahr 2019 – gegenüber den Vorjahren weiter zunehmende Anzahl von Fachkräften aus den Einrichtungen und Diensten der Kinder- und Jugendhilfe, deren Fragen im Sinne der betroffenen jungen Menschen/Familien beantwortet wurden, die aber (als stellvertretend Ratsuchende) keine weitere ombudschaftliche Unterstützung erhielten. Fachkräfte dienen als Multiplikator_innen.
Als drittgrößte Gruppe – mit 16 Prozent im Jahr 2019 und damit ebenfalls sukzessive steigend – sind es die Jugendlichen selbst, die eigenständig Kontakt zur Ombudsstelle aufnahmen und um Beratung baten. Die jüngsten Ratsuchenden waren zwölf Jahre alt. In der Häufigkeit an vierter Stelle standen Väter als Ratsuchende. Der Trend, dass sich zunehmend auch Väter mit Anliegen zu einer erzieherischen Hilfe an die Ombudsstelle wenden, setzte sich im Jahr 2019 fort.
Die Inanspruchnahme von ombudschaftlicher Beratung ist im Wesentlichen von zwei Bedingungen abhängig. Zum einen müssen die betroffenen Familien von dieser Möglichkeit wissen. Zum anderen braucht es diskurs- und kritikoffene Fachkräfte in den Ämtern und Einrichtungen der Jugendhilfe, die Betroffene aktiv auf die Legitimation der Hinzuziehung eines unabhängigen Dritten bei fachlichen Konflikten hinweisen und gleichzeitig eine Praxis des Verzichtes auf damit verbundene etwaige Restriktionen leben.
Aus der Analyse von 512 Beratungsanfragen der letzten 7 Jahre zeigt sich: Nach wie vor sind es meist die Fachkräfte der leistungserbringenden Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe (28 Prozent), die die jungen Menschen/Eltern auf das Beratungsangebot hinweisen und damit den Zugangsweg ebnen. Das statistische Ausmaß und die Vielfalt der an die Ombudsstelle vermittelnden Akteure aus anderen Leistungsbereichen der Jugendhilfe (Kita, Schule, Jugendarbeit etc.), aber auch aus medizinischen, therapeutischen und sozialen Hilfe-Systemen sowie dem nicht-institutionellen Kontext (Freunde, Bekannte, Mundpropaganda etc.), spiegelt die inzwischen starke Bekanntheit des Beratungsangebotes in der sächsischen Hilfelandschaft. In der jährlichen Auswertung der „Zugangswege“ zeigt sich insbesondere in den letzten beiden Jahren, dass sich immer mehr Menschen aufgrund von früheren Erfahrungen mit der Arbeit des Kinder- und Jugendhilferechtsvereins e.V. an die Ombudsstelle wenden.
Der Anteil der Ratsuchenden, die über das Jugendamt selbst vom ombudschaftlichen Beratungsangebot erfahren, ist vergleichsweise gering. Auch im Jahr 2019 haben sich lediglich 5 Prozent aller Ratsuchenden an den Verein gewandt, nachdem sie im ASD/über eine ASD-Fachkraft darauf aufmerksam wurden (über Flyer, Broschüren). Im Sinne der Realisierung von Betroffenenrechten und einer sich als emanzipatorisch definierenden Jugendhilfe sollten die Jugendämter in diesem Punkt offensiver werden.
Regional verteilen sich die Beratungsanfragen 2019 ähnlich unterschiedlich wie im Vorjahr. In den Städten Dresden und Leipzig ist die Inanspruchnahme ombudschaftlicher Beratung weiter verbreitet als in anderen Regionen. Während die Anzahl der Beratungsanfragen im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Jugendamtes Dresden gegenüber dem Jahr 2018 kaum verändert ist, zeigt sich für die Stadt Leipzig ein Anstieg um knapp 50 Prozent gegenüber dem Vorjahresniveau. Aus den Landkreisen Görlitz, Sächsische Schweiz/Osterzgebirge, Bautzen und Bautzen erreichten die Ombudsstelle ähnlich viele neue Fallanfragen wie im Vorjahr. In den Landkreisen Nordsachen und Meißen hingegen haben sich die Beratungsanfragen von 2018 zu 2019 nahezu verdoppelt.
Aus der Region Chemnitz/Westsachen erreichten den Kinder- und Jugendhilferechtsverein e.V. im Berichtsjahr 10 Beratungsanfragen, vier davon aus Chemnitz. Vor dem Hintergrund, dass zwischen 2013 und 2018 insgesamt 15 Anfragen aus dieser Region eingegangen waren, ist diese Entwicklung als sprunghafter Anstieg zu bezeichnen und unterstreicht umso mehr die Notwendigkeit eines zügigen Standortaufbaues.
Die Kategorisierung der Themen, mit denen sich Ratsuchende an die Ombudsstelle wenden, in ein bestimmtes Themengebiet stellt nach wie vor eine statistische Herausforderung dar. Oftmals treten mehrere Themen zutage. Ausgewertet werden die Beratungsanfragen nach dem hauptsächlichen Themenfeld.
Nach Zusammenfassung und inhaltlicher Erläuterung der zwischen 2013 und 2018 aus den Beratungsanfragen resultierenden Themenschwerpunkten, über die in der Fallstatistik 2013-2018 berichtet ist, sind nachfolgend ausschließlich die Beratungsthemen des Jahres 2019 abgebildet. Darin zeigen sich durchaus Verlagerungen gegenüber den Vorjahren.
Inhaltliche Schwerpunkte in den Beratungen waren – wie in den Jahren zuvor – an erster Stelle Konflikte hinsichtlich der Gestaltung von Hilfeprozessen (28 Prozent). Dies betrifft unter anderem die Auswahl des „geeigneten“ Hilfesettings (Hilfeform, Hilfeart, Hilfeumfang), die Umsetzung des Wunsch- und Wahlrechtes, Konflikte verschiedenster Art mit den Leistungserbringern und auch Fragen der Kontakterhaltung von Eltern/Angehörigen zu in stationären Einrichtungen lebenden Kindern und Jugendlichen. In der akuten Phase einer Inobhutnahme und zu Fragen des Jugendamtshandelns bei vermuteter Kindeswohlgefährdung baten zudem jeweils 4 Prozent der Ratsuchenden um ombudschaftliche Beratung.
Das zweihäufigste Thema mit 22 Prozent aller Anfragen und damit gegenüber den Vorjahren sprunghaft angestiegen ist der Bereich der Aufklärung/Beratung zu Fragen der Kostenheranziehung junger Menschen in stationärer Erziehungshilfe. Aufgrund massiver Öffentlichkeitsarbeit des Vereins auf örtlicher und bundesweiter Ebene sind immer mehr betroffene jungen Menschen zu diesem Thema informiert worden und setzen sich gegen das bei vielen örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe jahrelang vollzogene rechtsbeugende Verwaltungshandeln zur Wehr. Einzelne junge Menschen haben seit 2019 mit Unterstützung durch die Ombusstelle Klage gegen ihre Kostenbescheide bzw. die Ablehnung der Widersprüche eingelegt. Aktuell (2020) scheinen einige Jugendämter ihre Praxis zumindest hinsichtlich der rechtskonformen Anwendung der Berechnungsgrundlagen endlich zu ändern.
In 15 Prozent aller Anfragen lagen den Beratungs- und Unterstützungsersuchen hochkonflikthafte und meist bei Familiengerichten anhängige Streitigkeiten auf Elternebene zugrunde. Diese Zahl bewegt sich damit auf dem Niveau wie in den Vorjahren. Inhalt der Beratungsanliegen waren zumeist Kritik/Fragen hinsichtlich Fachlichkeit der beteiligten Jugendhilfe und Gerichtsakteuren.
Als vierter Schwerpunkt ist zu bemerken, dass es in etwa jeder achten Fallanfrage ausschließlich um die Erst-Gewährung, die Verlängerung oder die Schaffung von geeigneten Hilfen ging.
Die nachfolgende Auswertung bezieht sich ausschließlich auf die im Berichtsjahr neu eingegangenen und bereits abgeschlossenen Beratungsanfragen, die den Kriterien einer ombudschaftliche indizierten Beratung entsprechen. Aus der Verlagerung der Beratungsschwerpunkte im Jahr 2019 – insbesondere der Zunahme an Beratungsanliegen, die über mündliche/elektronische Wege gut beraten werden konnten wie bspw. die Kostenheranziehung – folgte auch eine Veränderung hinsichtlich der Formen, in denen ombudschaftlichen Beratung geleistet wurde.
Mit 56 Ratsuchenden (55 Prozent aller 102 ombudschaftlich beratenen Fälle) im Berichtsjahr erfolgte die Beratung ausschließlich per Telefon – zum Teil mit ergänzendem E-Mail-Verkehr – und mit 46 Ratsuchenden (45 Prozent) wurde mindestens ein persönliches Gespräch geführt.
In 25 Prozent der durch die ehrenamtlich und/oder hauptamtlich Beratenden in persönlichem Kontakt zu den Ratsuchenden geführten Beratungsprozesse blieb es bei persönlichen Gesprächen ohne als Ombudsstelle gegenüber den Jugendhilfe-Akteuren in Erscheinung zu treten. In jedem fünften Beratungsprozess wurde eine Kontaktaufnahme zu den zuständigen Fachkräften bzw. eine Begleitung des Ratsuchenden zu Gesprächen mit diesen Fachkräften notwendig.
Fast jeder vierte ombudschaftliche Beratungsfall war so gelagert, dass er nicht allein durch sozialpädagogische Kompetenzen zu beraten war, sondern eine juristische Co-Beratung oder die Übernahme der Beratungsanfrage durch eine/n einschlägig juristisch ausgebildeten Berater_in erforderte. Der Kinder- und Jugendhilferechtsverein e.V.. ist daher kontinuierlich auf der Suche nach zusätzlichen Ehrenamtlichen mit entsprechender juristischer Ausbildung bzw. Vorerfahrung.
In den meisten Beratungsfällen (80 Prozent) lag der zeitliche Aufwand der Beratung bei bis zu drei Stunden. Darin nicht mit eingeschlossen ist die Zeit, die für fachliche Recherchen, kollegiale und/oder juristische Co-Beratung, Supervision und Dokumentation, in den einzelnen Fällen aufgewendet werden musste.
Entsprechend hoch ist der Anteil der Fälle, in denen es zu einem oder zwei Beratungskontakten mit Ratsuchenden kam (76 Prozent) und der Beratungsprozess innerhalb von 20 Tagen abgeschlossen werden konnte (65 Prozent).
In statistisch jedem 5. Beratungsfall umfasste die reine Beratungszeit jedoch einen viel höheren Aufwand von über 4 Stunden und teilweise erheblich darüber. Innerhalb dieser – eine hohe Beratungsintensität erfordernden – Beratungsprozesse wurden entsprechend mehr Beratungskontakte nötig.
Mindestens 3 Beratungskontakte (bis hin zu teilweise weit über 5 Kontakten in allein 7 Prozent der Beratungsprozesse) gab es in etwa 25 Prozent der Beratungsprozesse. Zwischen Fallaufnahme und Abschluss des Beratungsprozesses lagen in 35 Prozent der 2019 abschließend beratenen Fälle eine Zeitspanne von 3 Wochen bis hin zu mehreren Monaten.