Ende September 2016 haben an der TU Dresden über 300 Fachkräfte aus der Kinder- und Jugendhilfe über Kinderrechte, Elternrechte und öffentliche Verantwortung durch die Jugendhilfe diskutiert. Die Veranstaltung wurde getragen von
• TU Dresden
• Outlaw. die Stiftung
• Kinder- und Jugendhilferechtsverein e.V.
• Hochschule Mittweida
• Deutscher Kinderschutzbund Landesverband Sachsen
Kinderrechte und Elternrecht – so die These über der Veranstaltung – sind zwei Seiten einer Medaille – und diese Medaille heißt: Bereitstellen günstiger Aufwachsbedingungen sowie staatliche Sorge und Wachsamkeit für ein gutes und gesundes Aufwachsen aller jungen Menschen: Kinderrechte und Elternrecht sind also keine Gegensätze, kein Widerspruch, sondern unmittelbar aufeinander bezogene Bürger_innenrechte, die vor allem die „staatliche Gemeinschaft“ in die Pflicht nehmen. Es ging dem Kinderrechte-Kongress darum, über Kinderrechte, Elternrechte und öffentliche Verantwortung und über ihre Widersprüche und ihr Zusammenwirken nachzudenken, zu streiten und sich zu verständigen. Die Resonanz war überwältigend. Die Stühle reichten nicht aus, die Fachforen und Arbeitsgruppen waren voll, die Versorgung war voll gefordert.
In seinem Eingangsstatement nahm Michael Winkler (Uni Jena) eine kritische Bestandsausnahme der Diskussion um die Kinderrechte vor: Menschen- und Kinderrechte sind in aller Munde, gegen die aktuellen Verhältnisse (Neoliberalismus, Kriege in der Welt, zunehmender Ausschluss bedrängter Gruppen, Machtlosigkeit zivilgesellschaftlicher Akteure etc.) scheinen sie wenig auszurichten. Winkler entdeckt ein Paradox in der Diskussion um Kinderrechte: Je mehr Kinderrechte wir fordern, umso stärker fordern wir den Staat, der sich nur liberal gibt, aber am Ende hart und zerstörerisch das Miteinander der Menschen angreift. Er blickt auf die Geschichte der Menschen- und Kinderrechte zurück, merkt an, dass die Diskussion um diese Rechte natürlich eine sehr westliche Diskussion ist und die Verhältnisse in Kriegs- und Armutsregionen wenig in den Blick nimmt, er äußert sich kritisch zur Euphorie, die sich mit dem Fokus auf rechtliche Fragen verbindet, merkt an, dass der Fokus auf die Kinder gewachsene Familienstrukturen angreifen kann, dieser Fokus treibt vielleicht sogar einen Keil zwischen Eltern und Kinder und er sieht eine neue Asymmetrie entstehen zwischen Eltern(-rechten) und Kindern(-rechten). Er stellt eine zunehmende Machtfülle des Staates fest, die sich u.a. an den Diskursen um die Reform des Kinder- und Jugendhilfegesetzes zeigt – das Jugendamt würde noch stärker zu einer Eingriffsbehörde und Hilfen könnten sie weitgehend ohne Mitentscheidung von Kindern und Eltern verordnen. Er endet mit einem Plädoyer für die Wiederentdeckung des Solidarischen, der Sorge füreinander, fordert die Inblicknahme von Macht- und Herrschaftsmechanismen und spricht sich für eine Rückbesinnung auf fachliche Ansprüche in der Jugendhilfe aus. Der Diskurs um Kinderrechte kann ein Anlass sein, über diese Dinge nachzudenken.
Thomas Meysen vom Deutschen Institut für Jugendhilfe und Familienrecht verdeutlichte anschließend in seinem Fachvortrag zur „öffentlichen Verantwortung für die Rechte von Kindern und Eltern“, dass bei vielen Fachkräften eine enorme Angst vorherrscht, etwas falsch zu machen. „Wieviel zählt ein Bauchgefühl?“ – mit dieser Frage brachte Meysen die schwierige Situation, in der sich päd. Fachkräfte befinden, auf den Punkt. „Zu viele Vorschriften und Handlungsanweisungen schwächen die Fachlichkeit“, so Meysen und er machte deutlich, wie schädlich es auch sein kann, allein die Kinderrechte in den Fokus zu stellen. „Wenn wir nur vom Kind aus denken, verlieren wir die Eltern“, fasst er zusammen und meint „die Kinder- und Jugendhilfe muss auch in die Verständigung mit den Eltern kommen, sonst ist es zum Nachteil der Kinder“.
In zehn Fachforen und zehn Arbeitsgruppen diskutierten die TeilnehmerInnen dann in den kommenden zwei Tagen im Kontext konkreter Handlungsfelder der Sozialen Arbeit – dabei wurden Kinder-und Elternrechte sowie die öffentliche Verantwortung der Kinder- und Jugendhilfe unter anderem mit dem Blick auf die Kindertagesbetreuung, Sozialpädagogische Familienhilfe, Offene Jugendarbeit, unbegleiteten minderjährigen Ausländer oder auch die Heimerziehung betrachtet – immer mit dem Fokus auf die tatsächliche Arbeitsrealität und dem Anspruch, wie es aus Sicht der Fachleute sein sollte. Insgesamt waren über dreißig Expert_innen und Moderator_innen am Kinderrechte-Kongress beteiligt.
Die zwei Tage Kinderrechte-Kongress in Dresden (mit Unterstützung des Landes Sachsen) waren aus Sicht der Veranstalter_innen von spannenden Diskussionen, neuen Einblicken und auch neuen Kontakten gekennzeichnet. Dazu trug auch ein gemeinsamer Tagungsabend im Kabarett Breschke und Schuch bei.
Mit eingeladen zur Tagung waren drei Damen, die in den 30er bis 70er Jahren in Ost und West in Kinderheimen lebten und die ihre traumatisierenden Erfahrungen mithilfe einer Kunsttherapeutin und Theater- sowie Filmleuten in Puppenspielsequenzen verarbeitet haben. Sicher ein Highlight auf der Tagung. Die abschließende Podiumsdiskussion versuchte, den Blick zurück nach Sachsen zu wenden. Vieles ist offen geblieben, einiges ist andiskutiert. Die Teilnehmer_innen und die Veranstalter_innen nehmen sicher viele Impulse mit.
Insgesamt, so lesen sich die Ergebnisse der Evaluation der Tagung, die die FH Münster übernommen hat, war dieser große Kongress sehr erfolgreich. Das hat auch mit der Organisation zu tun, die vor Ort junge Menschen aus Jugendverbänden und Student_innen der FH Mittweida übernommen haben. Ihnen gilt unser besonderer Dank!