Kinderundjugendhilferechtsverein_Workshop_20_01_2020

Rückblick auf den Workshop »Praxis trifft Careleaver« am 22.01.2020

Am 22.01.2020 kamen auf Einladung des Kinder- und Jugendhilferechtsverein e.V. in Dresden vier Fachkräfte aus drei Einrichtungen und vier Careleaver zusammen, um in zwei Stunden gemeinsam über die Praxis der Heimerziehung zu sprechen. Die Beteiligten kannten sich vorher nicht.

Es sollte darum gehen, einen offenen und strukturierten Raum zu schaffen, in dem erfahrene Careleaver_innen auf Fachkräfte treffen, die ihre Praxis reflektieren und besprechen wollen. Es gab keine Vorgaben über das, was zu besprechen ist. Über eine Abfrage am Beginn strukturierte sich das Gespräch. Es ging um folgende Themen:

Sexualität leben in Einrichtungen.

Der Wunsch der Fachkräfte war es, von den Careleavern zu hören, wie Einrichtungen vorgehen können, um dieser Entwicklungsaufgabe im Jugendalter auch Platz und Möglichkeiten einzuräumen. Die Careleaver haben aus ihrer Erfahrung dargestellt, dass für Intimität häufig kein Platz ist in den Einrichtungen. Es gibt wenig privaten Raum und so würde Sexualität meist außerhalb der Einrichtung praktiziert. Außerdem würde das Thema auch weitgehend totgeschwiegen und es ist sehr davon abhängig, ob die Mitarbeiter_innen für das Thema offen sind. Die Mitarbeiter_innen haben ausgeführt, dass das Zulassen von sexuellen Kontakten von Ängsten um deren (teilweise) Strafbarkeit beeinträchtigt ist. Trotzdem gibt es den Willen, sich mit dem Thema zu beschäftigen. In manchen Einrichtungen übernehmen das Thematisieren auch speziell geschulte Kolleg_innen. Die Careleaver_innen erwarten gezielte Aufklärung in Einzelgesprächen, einen Vertrauensvorschuss den Jugendlichen gegenüber und Möglichkeiten, intime und abschließbare Räume für Sexualität zu haben.


Zusammenleben von Kindern und Jugendlichen:

Den Careleavern war besonders wichtig, darauf hinzuweisen dass aus ihrer Sicht das Zusammenleben zwischen kleinen Kindern und Jugendlichen in einer Wohngruppe herausfordernd ist. Sie regten an, für Kinder und Jugendliche verschiedene Einrichtungen vorzuhalten. Ihre Erfahrung ist, dass sie gegenüber den kleinen Kindern in der Einrichtung zurückstehen müssten. Es gibt auch die vielfältige Erfahrung, dass die Betreuer_innen sich vielmehr um die jungen Kinder kümmern als um sie. Den Fachkräften war nicht in jedem Falle klar, wie stark der Wunsch nach Beziehung bei den Jugendlichen ausgeprägt ist. Außerdem haben wir darauf hingewiesen, dass bei getrennten Einrichtungen zwischen Kindern und Jugendlichen die jungen Menschen ja umziehen müssten und damit auch ihre Bezugsbetreuer_innen verlieren würden. Darauf real reagierten die Careleaver so, dass sie sagten, dass der Wechsel von Betreuer_innen in Einrichtungen ja eh Standard sei, weil diese sich wegbewerben würden. Der Wunsch der Careleaver beim Thema Zusammenleben ist, dass auch sie als Jugendliche ernst genommen werden wollen und die Betreuerinnen auch für sie da sein sollen. Außerdem sprachen sie sich dafür aus, dass Konflikte zwischen kleineren Kindern und Jugendlichen die Betroffenen selbst austragen sollten und die Betreuer_innen sich nicht immer wohlmeinend einmischen müssten.

 

Demokratie und Beteiligung in den Einrichtungen: 

Die Careleaver führten aus ihrer Erfahrung aus, dass sie sich in vielen Fällen nicht oder nur wenig beteiligt gefühlt haben an dem, was in der Einrichtung zu entscheiden gewesen wäre. In vielen Einrichtungen gibt es Gruppenstunden oder Gruppenmeetings, in denen wöchentlich über das gemeinsame Zusammenleben mit den Jugendlichen beraten wird. Die überwiegende Erfahrung der Careleaver war aber, dass es in diesen Runden wenig zu entscheiden gab. Sie sprachen auch von „Scheinbeteiligung“. Es ginge eben auch darum, dass es tatsächlich etwas Wesentliches zu entscheiden gibt. Die Fachkräfte führten aus, dass es ein Modell von Gruppensprecherinnen und formalen Strukturen in manchen Einrichtungen auch gibt (Kidsteam, Jugendparlament). Die Erfahrung mit der Beteiligung von Jugendlichen an Entscheidungen in den Wohngruppen ist aber sehr durchwachsen. Manchmal ginge es auch um informelle Runden und vor allem darum, Zeit miteinander zu verbringen. Zufrieden waren die Fachkräfte mit der Form der Mitbestimmung in den Einrichtungen aber kaum. Es kam die Idee auf, Heimrat Strukturen auf Kreis oder Landesebene einzurichten, in denen Jugendliche unterschiedlicher Einrichtungen zusammen kommen können, um sich auszutauschen. Den Careleavern war besonders wichtig, dass Beteiligung und Mitbestimmung mit einer gewissen Ernsthaftigkeit und auch Relevanz betrieben wird.

 

Kontakthalten nach Ende der Hilfe: 

Die anwesenden Fachkräfte trieb die Frage um, wie es gelingen könnte, den Kontakt nach der Ende der Hilfe zu halten und aber auch die Frage, ob das von Jugendlichen überhaupt gewünscht sei. Die Erfahrungen der Careleaver mit dem Kontakthalten nach Ende der Hilfe sind ähnlich: In der Regel finden Kontakte, wenn überhaupt, eher auf privater Ebene zwischen ehemaligen Betreuer_innen und Jugendlichen statt. Häufig werden auch private Telefonnummern ausgetauscht. Ob dieser Kontakt gehalten werden darf, hängt sehr von den einzelnen Betreuer_innen ab. Es gab aber auch die Erfahrung, dass Jugendliche von der Einrichtung gehört haben, „du gehörst noch dazu“- „du kannst an Aktivitäten teilnehmen“. Insgesamt merkten die Careleaver_innen an, dass es darauf ankäme, wie der Abschied gestaltet wurde. Ihnen reicht es nicht, nur einmal im Jahr eingeladen zu werden. Sie hätten gern das Angebot bekommen, regelmäßig und in einem klar strukturierten Rahmen in der Einrichtung sein zu dürfen. Insgesamt wurde deutlich, dass es nach der Erfahrung der Careleaver_innen keine gute Ehemaligenkultur in den meisten Einrichtungen gibt. Die Fachkräfte führten aus, dass sie in Gedanken nach Ende der Hilfe bei den Jugendlichen sind und auch manche treffen. In vielen Fällen sind es aber auch Datenschutzprobleme, die einem geplanten Kontakt im Wege ständen. Außerdem wiesen sie darauf hin dass das ja alles Zeit kostet, für die kaum Budget vorgesehen ist. Die Careleaver_innen erzählten von Ritualen zum Abschied, sie mal erlebt hatten: ein individuell gestaltetes Fotobuch mit speziellen Texte und Grüßen, ein individuelles Holzbrett etc. In manchen Einrichtungen gibt es strukturierte Gespräche zum Auszug. Gemeinsam wurden Formen überlegt, die dazu beitragen können, dass sich eine Ehemaligenkultur gut entwickeln kann.



In der Reflexion am Ende des Workshops wurde deutlich, dass es ein sehr interessantes Format ist. Es wurde auch sehr positiv erwähnt, dass und wie sich die Careleaver geöffnet haben und von ihrer Erfahrung erzählt haben. Es war interessant zu hören, wie sie die Praxis der Heimerziehung erlebt haben. Alle merkten an, dass 2 Stunden zu wenig Zeit sind, um über Themen spezialisiert und tiefgehend zu sprechen. Es wurde auch deutlich, dass zu viele Themen am Beginn genannt wurden. Es gab den Vorschlag, einen Seminartag oder eine Tagung dazu zu machen. Im Anschluss an den Workshop haben wir vereinbart, dass wir uns in dieser Runde wieder treffen zu einem Nachmittag/Abend, an dem mit deutlich mehr Zeit intensiver über die Themen gesprochen wird, die noch unbearbeitet geblieben sind. Wir freuen uns auf diesen weiteren Austausch und sind beeindruckt von der Offenheit der Fachkräfte und dem Engagement der Careleaver rennen.


Es wird weitere Termine für solche Workshops geben. 

Informieren Sie sich auf der Seite www.careleaverzentrum.de

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