Gesamtentwicklung

Ombudschaftliche Beratungsarbeit – ein Rückblick auf das Jahr 2020

Dieser Beitrag gibt Einblick in die ombudschaftliche Beratungsarbeit des Jahres 2020.

Im Jahr 2020 gingen insgesamt 254 neue Beratungsanfragen beim Kinder- und Jugendhilferechtsverein ein. Gegenüber dem Vorjahr 2019 mit insgesamt 238 neuen Anfragen ist die Tendenz weiter steigend. Das Beratungsangebot wird immer stärker genutzt. Ein leichter Einbruch an Neuanfragen war lediglich in den ersten Tagen des Frühjahres-Lockdowns zu bemerken.
Insbesondere der Anteil an neuen Beratungsanfragen mit ombudschaftlichem Charakter und daraus resultierenden ombudschaftlichen Beratung(sprozessen) ist gegenüber dem Vorjahr um über 30 Prozent gestiegen. Dies könnte mit dem Start der ombudschaftlichen Beratung in der Region Chemnitz in Verbindung gesetzt werden. Dementsprechend sank die Zahl der als auswärtig zu kategorisierenden Anfragen mit inhaltlich ombudschaftlichem Charakter. Die Anzahl der reinen Anfragen ging 2020 leicht zurück.
In den 142 ombudschaftlichen Beratungsanliegen wurden die ratsuchenden Personen durch die hauptamtlichen Fachkräfte des Kinder- und Jugendhilferechtsvereins als auch – gemeinsam mit oder beratungsfallführend – durch ehrenamtliche Sozialpädagog*innen und Jurist*innen des Vereins beraten. In insgesamt 63 Fällen der 142 ombudschaftlichen Beratungsfällen (44 Prozent der Ombudsfälle) waren ehrenamtliche Berater*innen auf diese Weise in der Beratungsarbeit aktiv.
Ombudschaftliche Anliegen, die über den Jahreswechsel hinaus beraten und begleitet werden, werden in der Statistik des Folgejahres bisher nicht erneut erfasst. Mit der Einführung der bundesweit einheitlichen Statistik wird künftig erfasst, um wie viele Fälle es sich hierbei handelt.

Die Auswertung der Falldokumentationen nach dem ratsuchenden Personenkreis zeigt, dass es nach wie vor hauptsächlich Mütter sind, die sich mit Beratungsanliegen an den Kinder- und Jugendhilferechtsverein wandten. Der Anteil lag im Jahr 2020 bei 31 Prozent und im Gesamtdurchschnitt der Erfassungen 2013-2020 bei 32 Prozent.
An zweiter Stelle standen eine weiter zunehmende Anzahl von Fachkräften aus den Einrichtungen und Diensten der Kinder- und Jugendhilfe sowie beispielsweise tangierenden Bereichen wir der Kinder- und Jugendpsychiatrie, die Informationen zu den Rechten junger Menschen, jedoch als (stellvertretend) Ratsuchenden keine ombudschaftliche Beratung erhalten. Während der Anteil an Fachkräften im Jahr 2019 noch 21 Prozent aller Ratsuchenden betrug, waren es im Jahr 2020 insgesamt 27 Prozent.
Der Anteil an jungen Menschen, die sich mit sie direkt betreffenden Anliegen selbständig an den KJRV wandten, war im Jahr 2020 mit 11 Prozent statistisch leicht rückläufig im Vergleich zum Durchschnitt der Jahre 2013-2019 mit 14 Prozent. In vielen Fällen jedoch stellen Fachkräfte den Erstkontakt her und ebnen den Weg zu Beratungsprozessen, die dann unmittelbar mit den betreffenden jungen Menschen selbst fortgeführt werden. Die jüngsten Ratsuchenden in dieser Kategorie waren 12 Jahre alt.
Als ein kontinuierlich wachsender Personenkreis der Ratsuchenden sind die Väter zu benennen, die sich auch im Kontext erzieherischer Hilfen an den KJRV wenden. Im Jahr 2020 machten ratsuchende Väter mit 15 Prozent aller Anfragen den dritt stärksten Personenkreis aus.
In der Auswertung der Anfragen des Jahres 2020 gegenüber den Vorjahren zeigen sich eher unveränderte Häufigkeiten, in denen sich Eltern gemeinsam (anhand der Fragestellungen und Situationen im Einzelfall erkennbar), aber auch Menschen aus dem sozialen Umfeld der Jugendhilfeerfahrenen und Vormund*innen (auch gesetzliche Betreuer*innen) an den Verein wenden, um sich über die Rechte und Möglichkeiten der Jugendhilfeerfahrenen beraten zu lassen.

Die Wege, über die ratsuchende Menschen vom Angebot des Kinder- und Jugendhilferechtsvereins erfahren haben, sind vielseitig. Als wichtiger Zugangsweg sind es die leistungserbringenden Einrichtungen der erzieherischen Hilfen bzw. dort tätige Fachkräfte, die Ratsuchende auf das Beratungsangebot hinweisen oder den ersten Kontakt herstellen, welcher dann in die direkte Kommunikation zwischen der eigentlich ratsuchenden Person und der Ombudsstelle mündet. Die Auswertung der Jahre 2013-2020 ergibt, dass von 710 Fälle, in denen die Zugangswege statistisch erfasst wurden, in etwa jedem 4. Fall der/die Ratsuchende über die eigene leistungserbringende Einrichtung vom Beratungsangebot erfahren hat.
Es gibt eine ganze Reihe von freien Trägern und Fachkräften anderer Institutionen, die aufgrund früherer Erfahrungen mit der Ombudsstelle auch im Jahr 2020 als Brückenbauer für weitere Ratsuchende agierten. Im statistischen Durchschnitt der Jahre 2013-2019 wendeten sich acht Prozent der Ratsuchenden an den KJRV aufgrund früherer Kontakte zum Verein oder zu ehrenamtlich Beratenden. Im Jahr 2020 waren dies hingegen 22 Prozent und damit in der Gesamtbetrachtung der acht Jahre seit Bestehen des Beratungsangebotes mehr als jeder 10. Ratsuchende.
Über die Öffentlichkeitsarbeit des KJRV wurden im Gesamtdurchschnitt der Jahre 2013-2020 jeder vierte Ratsuchende auf das Beratungsangebot aufmerksam – entweder über Veranstaltungen des KJRV, Flyer/Poster in den Institutionen und Presseartikel oder über die Präsenz im Internet und den sozialen Medien, wobei ein Großteil der Ratsuchenden aktiv im Internet suchten.
Dank der breit ausgerichteten Öffentlichkeitsarbeit und Vorstellungen der Arbeit des KJRV in nicht nur den Kreisen der HzE-Träger, erfahren den Ratsuchenden auch beispielsweise durch Schulsozialarbeiter*innen, Beratungsstellen außerhalb der Kinder- und Jugendhilfe, Jobcenter-Mitarbeiter*innen, Kindertageseinrichtungen, das Feld der Flüchtlingssozialarbeit und anderen tangierenden Hilfsangeboten von der Arbeit der Kinder- und Jugendhilferechtsvereins. Mundpropaganda durch andere Jugendhilfeerfahrende und Ratsuchende sowie hinweisgebende Menschen aus dem sozialen Umfeld der Ratsuchenden sind weitere Indizien dafür, dass das ombudschaftliche Beratungsangebot über einen stabilen Bekanntheitsgrad verfügt.
Im Jahr 2020 wurden 14 Ratsuchende (7 Prozent) direkt von einer/m Mitarbeiter*in des Jugendamtes – in einem Fall vom Landesjugendamt – auf die Ombudschaft aufmerksam gemacht. Diese Mitarbeiter*innen gehörten Jugendämtern von 5 verschiedenen Landkreisen/kreisfreien Städten an.

Seit Beginn der ombudschaftlichen Beratungsarbeit am Standort Chemnitz im Sommer 2020 werden nun alle Anfragen, bei denen die Zuständigkeit eines sächsischen Jugendamtes gegeben ist, nicht mehr als auswärtige Anfragen erfasst. Die Auswertung von 192 Beratungsanliegen im Jahr 2020, in denen die betroffenen Jugendämter innerhalb Sachsens statistisch erfasst wurden, zeigt folgende regionale Verteilung.
Analog den Vorjahren – und im Zusammenhang mit der Dauer des Bestehens der regionalen Beratungsstellen und dem Bekanntheitsgrad des Beratungsangebotes bei den regionalen Akteuren der Kinder- und Jugendhilfe einzuschätzen – waren in den meisten Fällen erneut die Städte Dresden und Leipzig betroffen. Es zeigt sich aber, dass hinsichtlich der Beratungsanliegen im Jahr 2020 fast jedes sächsische Jugendamt der zehn Landkreise und drei kreisfreien Städten mindestens zweimal in der örtlichen Zuständigkeit stand. Lediglich in Bezug auf eine örtliche Zuständigkeit des Landkreises Görlitz waren in der Statistik 2020 keine Beratungsanliegen erfasst. Anzumerken sei an dieser Stelle, dass in 62 Beratungsanliegen aufgrund des inhaltlichen Beratungsanliegens die örtliche Zuständigkeit der Jugendämter nicht explizit erfragt wurde. Im Jahr 2019 erreichten den KJRV demgegenüber 3 Fälle in örtlicher Zuständigkeit des LK Görlitz.

Die Auswertung der Themen, mit denen sich ratsuchende Personen im Jahr 2020 an den Kinder- und Jugendhilferechtsverein wandten, macht aufgrund der Vielseitigkeit eine gewisse Kategorisierung notwendig. In einigen beratenen Fällen waren die Fragestellungen und Unterstützungsanliegen komplex und mehrdimensional (materielle Rechte, verfahrensbezogene und kommunikative Aspekte).
Die nachfolgende Graphik gibt einen Überblick über die Themen von 246 ausgewerteten Fällen in der thematischen Gesamtverteilung als auch in der Differenzierung nach ombudschaftlichen Beratungen (Beratung unmittelbar mit der/dem Jugendhilfeerfahrenen), auswärtigen Anfragen (ombudschaftlichen Themen außerhalb des regionalen Einzugsgebietes der Fachstelle für ombudschaftliche Beratung) und reinen Anfragen (Beratungsanliegen außerhalb HzE oder von Fachkräften stellvertretend formuliert).

Im Jahr 2020 ging es in 20 Prozent der Beratungsanliegen um die Gewährung von Hilfen zur Erziehung. Dies betraf also jedes 5. Beratungsanliegen. Streitpunkt zwischen Betroffenen und den Jugendämtern waren hier zumeist die Anerkennung von Hilfebedarfen, die Höhe der Stundenumfänge bei ambulanten Hilfen, die Gewährung von Hilfen im Bereich des § 35a SGB VIII, aber auch die Installation begleiteter Umgänge durch den öffentlichen Jugendhilfeträger und die Verlängerung von Hilfen. In 20 der insgesamt 51 Fälle handelte es sich um die Gewährung oder Fortführung von Hilfen für junge Volljährige.
Zum Bereich der Leistungsgewährung hinzu kam noch 11 Anliegen (vier Prozent), in denen es um die Übernahmen von Kosten im Kontext der gewährten Hilfen ging, beispielsweise Fahrt- und Dolmetscherkosten, Kosten für Computer oder Erstausstattung.
An zweiter Stelle mit 19 Prozent aller Beratungsanliegen standen Konflikte rund um die Gestaltung von Hilfen. Dahinter stehen Ratsuchende, die aus fachlich nachvollziehbaren Gründen den leistungserbringenden Träger oder die Einrichtung wechseln wollten oder berechtigte Beschwerden über das Agieren der pädagogischen Fachkräfte (Herabwürdigungen, Sanktionsmethoden) vorbrachten, sich bei der Auswahl der Hilfeform und konkreten Ausgestaltung der Hilfe nicht beteiligt fühlten, sich bezüglich der Rückführungsplanung hingehalten fühlten oder die ihnen „vorgesetzten“ Umgangs- und Kontaktregelungen als Entfremdungstreiber kritisierten. Von den zuständigen Institutionen (ASD, Leistungserbringer) fühlten sich die Ratsuchenden in ihren Anliegen nicht ernst genommen. In zwei Fällen ging es um geschlossene Unterbringung junger Menschen. Statistisch separat ausgewiesen ist die Kategorie der Beteiligung im Hilfeplanverfahren, da es in acht Fällen (3 Prozent) hauptsächlich um die Rechte von (nicht-personensorgeberechtigten) Elternteilen und Kindern/Jugendlichen, an Hilfeplangesprächen beteiligt zu werden oder andere Verfahrensrechte zu nutzen, ging. In weiteren acht Fällen wandten sich betroffene junge Menschen und Fachkräfte an die Ombudsstelle, um fragwürdiges pädagogisches Handeln und/oder unwürdige Zustände in Wohngruppen zu thematisieren. Hier wurde die Ombudsstelle entsprechend seinen Möglichkeiten aktiv.
Einen sprunghaften Anstieg der Beratungsanfragen ist seit 2018 im Bereich der Beteiligung junger Menschen an den Kosten für stationäre Hilfen zu verzeichnen. Mit 15 Prozent war die Einordnung der Rechtmäßigkeit von Kostenheranziehungsbescheiden im Jahr 2020 das dritt häufigste Beratungsanliegen. In einigen Fällen unterstützte die Ombudsstelle die betroffenen jungen Menschen beim Widerspruch/Klage gegen rechtswidrige Bescheide und der Rückforderung zu viel gezahlter Beiträge.
Knapp jedem 10. Beratungsanliegen lag der Kontext von Umgang- und Sorgerechtsstreitigkeiten zugrunde, bei denen eine Hochkonflikthaftigkeit auf der Elternebene der Ausgangspunkt war. In diesen Streitigkeiten waren häufig Familiengerichtliche Verfahren anhängig. Die (Un-)Parteilichkeit und das Agieren von Mitarbeiter*innen der Jugendämter, von Verfahrensbeiständ*innen, von Gutachter*innen und Richter*innen in Verbindung mit materiellen (z.B. begleiteter Umgang) und verfahrensrechtlichen Fragen waren hier häufig das Thema, in welchen jedoch ein Grenzbereich der ombudschaftlichen Beratung betreten wird. Mütter, Väter, aber auch Großeltern waren hier allermeist die Ratsuchenden zu Fragen des Umgangsrechtes, die vor der Entscheidung eines gerichtlichen Erfechtens dieses Rechtes standen und denen durch die Ombudsstelle lediglich grundsätzliche Aspekte in diesem Kontext vermittelt und einige Impulse mitgegeben werden konnten. Aber auch die Beteiligungsrechte der betroffenen Kinder im familiengerichtlichen Verfahren waren in diesem Zusammenhang häufig Thema.
Ebenso hoch (zehn Prozent) war der Anteil der Beratungsanliegen, in denen eine Inobhutnahme angedroht oder vor kurzem vollzogen war – in den meisten Fällen standen dann Anhörungstermine im Rahmen einstweiliger Anordnungen des vorläufigen Sorgerechtsentzuges an. Anliegen der Ratsuchenden war entweder, die Inobhutnahmen verhindern zu können oder die Suche nach Handlungsmöglichkeiten für eine schnelle Rückführung.
Es wandten sich aber auch Ratsuchende an den Kinder- und Jugendhilferechtsverein, die eine Untätigkeit des Jugendamtes in Bezug auf potentielle Kindeswohlgefährdungen wahrnahmen und sich über ihre Handlungsmöglichkeiten und entsprechende Pflichten des Jugendamtes beraten lassen wollten.
Zu den sonstigen Anliegen (acht Prozent aller Anfragen) gehörten Probleme der Ratsuchenden mit der Schule/Kita, Fragen zur Schweigepflicht, zur Akteneinsicht, zu strafrechtlichen Angelegenheiten junger Menschen, Probleme beim Unterhalt, der Familienzusammenführung (Asylrecht) sowie weiteren Fragen der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit außerhalb der Jugendhilfe. In diesen Anliegen wurde soweit möglich beraten bzw. weitestgehend an kompetente Ansprechpartner und die zuständigen Institutionen weitervermittelt.

In die Auswertung der Beratungsformen und des zeitlichen Aufwandes, der Anzahl der Beratungskontakte und der Dauer der Beratungsprozesse wurden lediglich die ombudschaftlich beratenen Fälle einbezogen, die im Jahr 2020 neu aufgenommen wurden und bis Jahresende abschließend beraten werden konnten.


In über zwei Drittel der bereits abgeschlossen und daher auswertungsfähigen ombudschaftlichen Beratungsfälle  waren telefonische Beratungsgespräche ausreichend, um die Fragen der Ratsuchenden beantworten und sie in ihren Anliegen ausreichend stärken zu können. In einigen dieser Fälle gab es darüber hinaus ergänzenden E-Mail-Verkehr, um die Ratsuchenden auch fachlich zu bemächtigen. In knapp einem Drittel der Fälle kam es zu persönlichen Beratungsgesprächen – in der Regel fanden in diesen komplexeren Fällen auch mehrere Gespräche mit den ratsuchenden Menschen statt. Aufgrund der Corona-Situation wurden persönliche Beratungsgespräche teilweise per Videokonferenz durchgeführt.
In zwölf Fällen (knapp 10 Prozent) wurden die Jugendhilfeerfahrenen zu Gesprächen in die Jugendämter begleitet und vor Ort in ihren Anliegen durch die Ombudspersonen als Beistände unterstützt. Eine Begleitung zu Gesprächen in das Jugendamt setzt stets ein vorab stattgefundenes persönliches Gespräch zwischen Ratsuchendem und begleitender Ombudsperson voraus. In Phasen des Lock-Downs wurden auch hierzu Video- und Telefonkonferenzen genutzt.
Jedes zehnte Beratungsanliegen war in seiner juristischen Tragweite und Gestalt so herausfordernd, dass neben der sozialpädagogischen Einschätzung eine besondere rechtliche Expertise zu materiellen und Verfahrensfragen hilfreich oder gar erforderlich war. In diesen Fällen wurden dem Verein angehörige und als Ombudspersonen tätige ehrenamtliche Volljurist*innen als Co-Berater*innen hinzugezogen oder mit der Übernahme des Falles betraut.

Im Jahr 2020 konnten 70 Prozent der ombudschaftlichen Anliegen innerhalb von ein bis zwei Beratungskontakten beraten werden. Etwa jeder fünfte ombudschaftliche Beratungsfall (ca. 20 Prozent in der Gesamtverteilung) erforderte zwischen drei und fünf Beratungskontakte. In den 2020 neu aufgenommen und bereits abschließend beratenen und dokumentierten Beratungsfällen wurden in den komplexesten Fällen bis zu zwölf Beratungskontakte notwendig, um die Jugendhilfeerfahrenen in der Durchsetzung ihrer berechtigten Anliegen bedarfsgerecht zu unterstützen.

Im überwiegenden Teil der ombudschaftlichen Beratungsfälle (80 Prozent) umfasste der zeitliche Aufwand innerhalb der Beratungskontakte bis zu drei Stunden. Dies korreliert in den meisten Fällen mit der Anzahl der Fälle, die innerhalb von einem oder zwei Kontakten beraten werden konnten. In den weiteren 15 Prozent der intensiver zu beratenden Fälle umfasste der Beratungsaufwand bis zu 10 h, die im Rahmen einer entsprechend höheren Anzahl an Beratungskontakten zusammenkamen. In einem ombudschaftlichen Beratungsfall waren 26 Stunden reine Beratungszeit erforderlich.
In der statistischen Erfassung des Stundenaufwandes in den einzelnen Beratungsfällen bislang nicht enthalten sind die erforderlichen Zeiten für die Falldokumentation, die Sichtung von Unterlagen, für fachliche und rechtliche Recherchen sowie die Zeiten für juristische oder fachliche Co- Beratung und für kollegiale Beratungen.

Knapp 60 Prozent der ombudschaftlichen Beratungsanliegen konnten innerhalb von zehn Tagen abschließend beraten werden. Gegenüber allen Ratsuchenden wird regelhaft das Angebot ausgesprochen, sich bei Bedarf erneut an die Beratungsstelle zu wenden, was Ratsuchende auch tatsächlich tun, wie sich an den Zugängen zum Beratungsangebot zeigt.
In weiteren 20 Prozent der im Jahr 2020 neu aufgenommen Beratungsfälle wurden die Beratungsprozesse in einem Zeitraum von bis zu 50 Tagen abschließend beraten und in knapp über elf Prozent waren die Fallkonstellationen derart komplex, dass die Veränderungsprozesse intensiv begleitet werden mussten und mit entsprechend vielen Beratungskontakten und hohen Beratungsaufwänden verbunden waren. In diesen Fällen waren die ombudschaftlichen Beratungs- und Begleitprozesse über mindestens 1,5 Monate hinaus erforderlich. In Einzelfällen umfassten diese Prozesse bis zu sieben Monate.

In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass es Fälle gibt, die bis ins Jahr 2021 hinein weiterberaten werden mussten und teilweise noch nicht abgeschlossen werden konnten.
Darüber hinaus waren auch einige auswärtige und reine Beratungsanliegen von ihrer Thematik her so gelagert, dass es mehr als einen einmaligen telefonischen Beratungskontakt zur ratsuchenden Person gab. Dies hatte zweierlei Ursachen: Einerseits existiert die Vereinbarung innerhalb des Bundesnetzwerkes Ombudschaft, soweit möglich auch Ratsuchende aus angrenzenden Bundesländern zu beraten, in denen die ombudschaftlichen Strukturen noch nicht (genügend) vorhanden sind. In anderen Fällen benötigte es mehrere sortierende Telefonkontakte mit den Ratsuchenden, bis gemeinsam geklärt werden konnte, ob es sich tatsächlich um ein ombudschaftliches Beratungsanliegen handelte.

Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Beteiligungsrechte von Adressat*innen

Seit dem Sommer 2020 werden die Auswirkungen der behördlichen Anordnungen zum Schutz vor der Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus auf die Ausgestaltung in den Hilfen zur Erziehung in der ombudschaftlichen Beratungspraxis sichtbar.
Vorab sei gesagt: Zweifellos haben viele freie und öffentliche Träger in Sachsen einen guten und rechtswahrenden Umgang mit der Pandemie gefunden und sicher haben die dort tätigen (Sozial)pädagog*innen die ihnen anvertrauten jungen Menschen und Klient*innen engagiert durch diese schwierigen Zeiten begleitet und tun dies noch. Selbstverständlich waren und sind viele Helfer*innen und viele Kolleg*innen in den Jugendämtern sehr engagiert, haben improvisiert und dadurch einiges möglich gemacht. Aus ombudschaftlicher Sicht muss aber darauf hingewiesen werden, dass solche Improvisation keine fachlich abgesicherte Arbeit ersetzen können und daher nicht zum Maßstab erklärt werden dürfen. Sie waren ein Notbehelf, der nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass qualitativ hochwertige sozialpädagogische Arbeit mit belasteten Familien und jungen Menschen nicht von dem privaten Engagement einzelner Fachkräfte abhängen darf, sondern dass dafür entsprechend ausgestattetes Personal und tragfähige Strukturen nötig sind. Keine von beiden Bedingungen waren, so muss festgehalten werden, während der pandemiebedingten Lockdowns annähernd erfüllt.


Während des ersten harten Lockdowns von März bis Mai 2020 war die Weiterführung von ambulanten Hilfen zur Erziehung (z.B. Erziehungsbeistandschaften, Sozialpädagogische Familienhilfen) stark eingeschränkt. In manchen sächsischen Kommunen erfolgte zeitweise ausschließlich dann eine Weiterbewilligung, wenn eine Kindeswohlgefährdung für den Fall zu erwarten war, dass die Hilfe nicht weitergeführt werden würde. Die Bewertung der Situation und die Meldung an das Jugendamt oblag den ambulanten Helfer*innen. Diese massive Einschränkung in der ambulanten Hilfegewährung traf die Adressat*innen parallel zur Schließung von Kitas, Schulen, Jugendtreffpunkten und Freizeitanlagen. Damit fielen auch diese Orte, denen eine wichtige Entlastungs- und Stabilisierungsfunktion für Familien und Kinder in belasteten Lebenslagen zukommt, für die Menschen weg. Die Kinder, Jugendlichen und ihre Familien, die in ihrem Alltag ambulante Hilfen zur Erziehung benötigen, wurden zu Beginn der Krise also doppelt allein gelassen. Etwa ab Mai 2020 stabilisierte sich die Situation diesbezüglich in vielen Kommunen zunächst und ambulante Hilfen wurden fortgeführt. Dies hing sicher auch mit der Ausweitung des Anspruch auf Kita – Notbetreuung für eine größere Gruppe sozialpädagogischer Fachkräfte zusammen. Spätestens ab dem zweiten Lockdown im November 2020 spitzte sich die Lage in vielen Kommunen jedoch erneut zu. Von einem Normalbetrieb konnte am Ende des Jahres 2020 vielerorts nicht gesprochen werden.


In der ombudschaftlichen Beratungsarbeit werden die Folgen deutlich sichtbar. Seit dem Sommer 2020 berichten Ratsuchende von stockenden Hilfeplanverfahren, die sich an einer schwierigen Terminvergabe in den Jugendämtern äußern oder daran, dass Hilfeplangespräche oder Fallkonferenzen Lockdown bedingt ausfallen oder ausschließlich als Telefonkonferenzen stattfinden mussten. Damit schrumpften die Räume für die Ausgestaltung von Hilfen, die ja auch als Orte der Verständigung und der Kommunikation und natürlich auch als Orte des Konfliktes verstanden werden können – denn auch die Auseinandersetzung gehört in eine gute Hilfepangestaltung – zeitweise auf ein Minimum zusammen. Man könnte sagen, dass die sozialpädagogische Arbeit während der Pandemie in manchen Kommunen auf das Verwaltungsverfahren reduziert wurde – zum Nachteil der Adressat*innen, für die sich die Lebenssituationen in dieser Zeit dramatisch zuspitzten.


Dies hatte ganz konkrete Folgen für Adressat*innen. Beispielsweise konnten Verlängerungen von Hilfen nicht rechtzeitig besprochen werden, was besonders für junge Volljährige existentiell ist, da ihre Hilfen oft mit einer kurzen Befristung bewilligt werden. Beim KJRV kommen seit Oktober 2020 vermehrt Beratungsanfragen an, in denen junge Volljährige berichten, dass vereinbarte Hilfeplangespräche zur Verlängerung ihrer stationären oder ambulanten erzieherischen Hilfen nur verspätet stattfinden konnten. Den Ratsuchenden war es dadurch erschwert, ihre Bedarfe mit den zuständigen Fachkräften zu besprechen und eine Verlängerung von Hilfen rechtzeitig auf den Weg zu bringen. Die Klient*innen haben den Eindruck, dass man in den zuständigen Jugendämtern bei der Verlängerung von Hilfen nach § 41 SGB VIII nicht berücksichtigt, dass die Zeit während des Lockdowns nicht wie geplant im Sinne von Verselbstständigung (z.B. Wohnungssuche, Netzwerkaufbau) genutzt werden konnte. Andere junge Menschen in ambulanten Settings hatten das Gefühl, dass seitens der Jugendämter auch die psychischen Auswirkungen pandemiebedingter Vereinsamungseffekte auf den sozialpädagogischen Hilfebedarf keine Beachtung fand.


Weiterhin ließ sich in der ombudschaftlichen Beratungsarbeit feststellen, dass ambulante Hilfen als mildere Mittel nicht mehr ausgeschöpft oder gar in Betracht gezogen wurden. Im Frühjahr 2020 wurden in vier Einzelfällen Mütter beraten, die den KJRV mit ihren neugeborenen Kindern aus dem Krankenhaus heraus kontaktierten, da sie vor die Wahl gestellt wurden, entweder in eine Mutter-Kind Einrichtung gem. § 19 SGB VIII zu ziehen oder die sofortige Inobhutnahme des Kindes zu riskieren. Überlegungen, die Familien durch eine intensive ambulante Hilfe begleiten zu lassen, wozu die Mütter im Einzelfall immer bereit waren, wurden seitens der zuständigen Jugendamtsmitarbeiter*innen kategorisch ausgeschlossen.


Hier zeigt sich womöglich eine zunehmende Reduktion der Kinder- und Jugendhilfe auf den Kinderschutz. Dieser Eindruck, dass Hilfen zur Erziehung immer stärker als reine Abwendungsmaßnahmen von drohender oder schon vorhandener Kindeswohlgefährdung betrachtet werden, wird nicht nur in der Ombudschaftlichen Arbeit schon seit längerem formuliert. Immer weniger scheint die lebensweltorientierte und dialogische Arbeit mit Eltern und jungen Menschen im Vordergrund zu stehen und immer deutlicher wird die Familie nicht mehr als Sorgegemeinschaft, sondern vorrangig als Ort der Überforderung und der Gefährdung von Kindern gesehen.

Stand Juni 2021