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Hilfeplan und Beteiligung: Bericht von einem Seminar mit Jugendlichen aus sächsischen Wohngruppen

Für Kinder und Jugendliche, die nicht mehr bei Ihren Eltern leben können und stattdessen in einer Wohngruppe leben, ist der „Hilfeplan” der zentrale Ort für Entscheidungen über ihr weiteres Leben. Hier kommen meist Eltern, die Jugendlichen selbst, das Jugendamt und jemand aus einer Einrichtung zusammen, um zurückzuschauen, wie das Leben in der Wohngruppe bisher gelang und wie es nun weitergehen soll. Meist werden am Ende Ziele vereinbart, an denen alle arbeiten sollen. Solch ein Hilfeplangespräch kann für Jugendliche und Eltern eine belastende Erfahrung sein, gerade wenn sie sich nicht ausreichend beteiligt fühlen. Nicht immer gelingen die Kommunikation und die Entscheidungsfindung in einem solchen Hilfeplan gut. Denn hier soll beteiligt werden, es sollen alle zu Wort kommen können und am Ende sollen einvernehmliche Lösungen gefunden werden. Fachleute gehen davon aus, dass der Hilfeplan regelmäßig gerade kein Ort der gerechten Aushandlung über die Hilfe ist. Wir haben uns vorgenommen, mit Jugendlichen, die selbst betroffen sind, darüber zu sprechen mit dem Ziel, mit ihnen gemeinsam eine Broschüre zum Thema Hilfeplanung zu entwickeln.

Im mittlerweile dritten Seminar des Projekts „MUSKEPEER” arbeiteten elf Jugendliche an einem Wochenende im Januar 2015 insgesamt 16 Stunden an den Themen UN-Kinderrechte, Beteiligung in der Wohngruppe und der Aufarbeitung von Hilfeplanerfahrungen.

Die Diskussion dieser Themen setzt Vertrauen in der Gruppe voraus, weil es ja um sehr persönliche Geschichten, Enttäuschungen, Wünsche und Hoffnungen geht. In dem ersten Seminar im November 2014 haben wir versucht, langsam miteinander ins Gespräch zu kommen, immerhin kannten sich die Jugendlichen vor dem ersten Seminar nicht – sie kommen aus ganz Sachsen. Daraus entwickelte sich dann eine Gruppe, in der erstes Vertrauen gefasst wurde. Im zweiten Seminar standen Erfahrungen in den Einrichtungen im Vordergrund – die Jugendlichen waren gebeten, ihre Geschichten zu erzählen, um das Kennenlernen zu stärken und Vertrauen zu festigen. Im dritten Seminar nun war die Gruppe in der Lage, sich offen über ihre Erwartungen und Wünsche auszutauschen.

Ausgehend von ihren Erfahrungen mit Hilfeplangesprächen (es waren Jugendliche dabei, die bisher nur ein Hilfeplangespräch; einige hatten aber auch schon bis zu acht Gespräche erlebt), haben wir die Zufriedenheit mit den Hilfeplangesprächen abgefragt (es war alles dabei: von „sehr zufrieden” bis „sehr unzufrieden”) und die Jugendlichen Sätze vervollständigen lassen. Beispielsweise diese:
• Meine beste Erinnerung an einen Hilfeplan ist … dass ich bisher immer zuerst gefragt wurde, was ich mir wünsche und vorstelle.
• Ein Hilfeplangespräch ist für mich … ziemlich anstrengend und langweilig.
• Meine zuständige ASD-Person ist für mich … eine faule Frau, weil die gar nichts macht.
• Ein Hilfeplan ist wichtig, weil … man seine Wünsche äußern kann und es für meine Zukunft wichtig ist.
• Für meinen nächsten Hilfeplan wünsche ich mir … dass er nicht so lange dauert.
• Ich rate anderen Jugendlichen für einen Hilfeplan … sich gut vorzubereiten und zu wissen, was man will.

Diese Antworten verdeutlichen differenzierte Erfahrungen: Es ist anstrengend aber wichtig und teils aber auch frustrierend. Hier haben wir mit den Jugendlichen konstruktiv angesetzt und gefragt: Wie müsste ein Hilfeplangespräch aussehen, wenn es gut werden soll? Die Antworten verblüffen nicht, sind aber trotzdem wichtig für eine sich weiter entwickelnde Praxis: Die Jugendlichen wollen ein lockeres Gespräch, in dem viel Zeit ist für die gemeinsamen Zielsetzungen. Sie wollen einerseits nicht, dass es so schnell geht, andererseits aber auch nicht, dass es 3 bis 4 Stunden dauert (was durchaus die Erfahrung einiger Jugendlicher ist). Die Jugendlichen wollen genau wissen, wer sie bei was wie unterstützt. Dabei ist auch das Jugendamt angefragt. Klar wurde, dass die Jugendlichen die Freiheit haben wollen, eine Person ihres Vertrauens mit ins Gespräch zu nehmen. Das ist zwar geltendes Recht, den Jugendlichen aber weitgehend nicht bekannt.

Es sollen auch nicht immer alle mit am Tisch sitzen (Lehrer_innen, Psycholog_innen, Betreuer_innen), sondern diese Menschen, die den Jugendlichen Sicherheit geben. Und sie wollen von Anfang an dabei sein, nicht erst später dazu geholt werden, wenn schon alles besprochen und entschieden ist (was auch wieder die Erfahrung von einigen Jugendlichen ist). Wir haben die Jugendlichen gebeten, in kurzen Sätzen zu formulieren, was sie in einem und von einem Hilfeplangespräch erwarten. Dies beispielsweise:
• Hört zuerst unsere Ziele im Hilfeplangespräch an!
• Hört Euch unsere Wünsche in Bezug auf unser Leben an!
• Wir wollen mitentscheiden, wer mit am Tisch sitzt!
• Wir wollen mitentscheiden, wo das Gespräch stattfindet!
• Nehmt uns wahr!
• Hört uns zu!
• Lasst uns ausreden!
• Entscheidet nicht ohne uns!
• Lasst uns selbst entscheiden!
• Ich will mitentscheiden, wer für mich zuständig ist!

Im Anschluss haben wir mit verschiedenen Medien diese Wünsche und Vorstellungen aufgenommen. Herausgekommen dabei sind Videos, ein Forderungskatalog und Demoschilder, die die Jugendlichen selbst gebaut und gestaltet haben. Fragmente davon werden in der Broschüre verarbeitet werden, die im nächsten Seminar erstellt werden wird.
Wir finden die konzentrierte Form der Auseinandersetzung beachtenswert. Immerhin haben sich die Jugendlichen an ihrem freien Wochenende in vielen Stunden mit komplexen Fragen beschäftigt. Die entstandenen Materialien sind eine gute Grundlage für die Durchsetzung der eigenen Rechte sowie für die Erstellung einer Broschüre, die auch anderen Kindern und Jugendlichen helfen kann das Hilfeplangespräch als zentralen Ort für Entscheidungen über ihr weiteres Leben konstruktiv mitzugestalten.
Wir werden dieses Seminar fortführen und in den Februarferien in Berlin an der Broschüre arbeiten. Im Anschluss daran wird es noch ein Seminar im März geben. Dann wird dieser erste Durchlauf mit 17 Tagen Seminar planmäßig fertig sein. Im Moment kann sich noch kaum jemand aus der Gruppe (13 Jugendliche + 4 Sozialarbeiter_innen) vorstellen, dass die gemeinsame Zeit zu Ende sein kann. Wir werden sehen, ob und wie es weiter gehen wird.
Björn Redmann, 21.01.2015

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