Aus Empörung: Ombudschaftliche Beratung + Ermöglichung politischen Handelns = Ombudschaftliche Arbeit
Der Beitrag stellt die Entwicklung und Arbeit des Kinder- und Jugendhilferechtsverein e.V. vor und zeigt die verschiedenen Projekte des Vereins in einem gemeinsamen Zusammenhang: die Verbindung von Ombudschaftlicher Beratung und der Ermöglichung politischen Handelns Betroffener als solidarische Praxis mit dem Ziel, die Kinder- und Jugendhilfe adressat:innenorientiert auszurichten.
Was tun, wenn immer mehr Menschen berichten, dass ihnen die Jugendhilfe nicht guttut? Oder sie sie gar schädigt? Oder sie gar keine Jugendhilfeleistungen bekommen, obwohl sie diese bräuchten und auch gern hätten? Diese Fragen hat in Dresden im Jahr 2010 einige Fachkräfte für ein spezielles Vorhaben zusammengebracht. Der Arbeitskreis Kritische Soziale Arbeit (AKS) Dresden hatte Peter Schruth eingeladen, der über die Gründung des Berliner Rechtshilfefond Jugendhilfe (BRJ) berichtete, der ersten ombudschaftlichen Beratungsstelle in Deutschland.
Die Situation in Sachsen war in dieser Zeit von Krise und Spardruck gekennzeichnet. Schon in den Jahren vor 2010 gab es einen Druck auf die Haushalte. Aber dann kam das Jahr 2010: Die Landesbank Sachsen war drei Jahre zuvor bankrottgegangen und wurde mit einer Bürgschaft des Landes Sachsen in Höhe von 2,75 Milliarden Euro „verkauft“. In der Folge gerieten die Haushalte von Land und Kommunen unter Druck.
Es wurde eine Jugendhilfe nach Kassenlage gemacht und die Kasse wurde immer leerer: 1,2 Millionen Euro wurden im Haushalt des Landes für 2010 eingespart. Es wurden Budgets für Hilfen zur Erziehung, Jugendsozialarbeit, Jugendarbeit etc. gekürzt, zum Teil um rund 30 Prozent. Und das hatte Spuren hinterlassen. Insbesondere bei den Hilfen zur Erziehung wurde gekürzt. Realisiert wurde das durch:
- frühe Beendigungen von Hilfen (vgl. AKJStat 2012)
- Verkürzung von Hilfen (vgl. AKJStat 2018, S. 76)
- Reduzierung der Hilfen (vgl. AKJStat 2014, S. 31)
- Nichtgewährung von Hilfen
Viele Hilfesuchende bekamen nicht mehr die Hilfen, die ihnen zustanden. Und viele Sozialarbeitende waren empört über die Kürzungen. Deshalb auch die Veranstaltung im AKS Dresden. Die konkrete Idee zur Gründung eines ombudschaftlichen Vereins in Dresden entstand dann etwas später, am 28. Februar 2011 auf dem Abschiedssymposium für Ullrich Gintzel an der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit in Dresden. Im Workshop „Betroffenenrechte stärken!“ wurde die Notwendigkeit einer unabhängigen Beschwerdestelle thematisiert und beschlossen, das Thema weiterzuverfolgen. In mehr als zehn großen Initiativegruppentreffen, weiteren zahlreichen Treffen von themenspezifischen Untergruppen und unzähligen fruchtbaren Diskussionen wurden Konzept und Satzung erarbeitet. Am 1. März 2012 wurde schließlich der Kinder- und Jugendhilferechtsverein e.V. (KJRV) als erste ombudschaftliche Struktur in der sächsischen Jugendhilfe gegründet.
Zur Gründung an einem Donnerstagabend waren alle eingeladen worden, die interessiert waren. Wer damals beruflich im Jugendamtes Dresden arbeitete, durfte nicht kommen: Es gab eine Dienstanweisung des Jugendamtes, dort nicht zu erscheinen. Heute ist das anders.
Ombudschaftliche Beratung
Seitdem und bis heute bietet der Kinder- und Jugendhilferechtsverein e.V. (KJRV) ombudschaftliche Beratung für Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene und Familien. Den Beratungen liegt ein verbindliches Handlungskonzept zu Grunde. Ratsuchende können sich per Post, Telefon oder E-Mail an den Verein wenden. Anfangs hatten ausschließlich Ehrenamtliche die Beratungen durchgeführt. Später kamen hauptamtliche Berater:innen hinzu. Heute arbeiten zehn Kolleg:innen im Verein.
Die Haupt- und Ehrenamtlichen, die Beratungen übernehmen, sind ausschließlich qualifizierte Fachleute, die seit mehreren Jahren in der Kinder- und Jugendhilfe tätig sind. Um den komplexen Anfragen gerecht zu werden, sind immer zwei Berater:innen gemeinsam tätig. Dies ermöglicht eine gegenseitige Kontrolle der Berater:innen aber auch den Rückgriff auf ein differenziertes Fachwissen und vielfältige Erfahrungen. Wenn juristische Fragen im Zentrum stehen, werden Jurist:innen hinzugezogen. Die Berater:innen verpflichten sich, an den regelmäßigen kollegialen Beratungen sowie an Berater:innenworkshops teilzunehmen. Um Abläufe nachvollziehbar zu machen, werden alle Beratungen mit Zustimmung der Betroffenen dokumentiert.
Die ombudschaftliche Beratung im KJRV bearbeitet Machtverhältnisse zwischen Adressat:innen der Kinder- und Jugendhilfe auf der einen Seite und Fachkräften sowie Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe auf der anderen Seite. Dies geschieht mittels Information und Beratung von jungen Menschen und ihren Familien sowie Vermittlung in Konflikten.
Wesentlicher Teil ombudschaftlicher Beratung ist außerdem die (fach-)politische Lobbyarbeit für eine bedarfsgerechte und adressat:innenorientierte Jugendhilfe und Sozialpolitik (vgl. BNO 2021, S. 4) sowie Ansätze von Empowerment (vgl. Wölfel & Redmann 2020, S. 144) und Selbstvertretung (vgl. Thurm & Redmann 2023).
Ausgangspunkt für die ombudschaftliche Beratung ist ein unerfüllter Jugendhilfebedarf. Bearbeitet wird die „strukturelle Machtasymmetrie“ (Urban-Stahl 2022, S. 138), das heißt die zulasten der Adressat:innen strukturell ungleich verteilte Macht in Prozessen und Entscheidungen der Kinder- und Jugendhilfe. Die strukturell unterlegene Partei wird durch die ombudschaftliche Beratung gezielt unterstützt. Ombudschaft ist damit eine Form des Machtausgleichs.
Seit 2013 sind 1.856 Personen beraten worden. In den meisten Fällen sind es die Mütter, die sich an die Ombudsstelle wenden, an zweiter Stelle stehen mit knapp 20 Prozent die jungen Menschen. In den allermeisten Fällen geht es um die Hilfegewährung, an zweiter Stelle um die Hilfeplanung, an dritter Stelle um Schwierigkeiten in der Kommunikation. Dass die Hilfegewährung an erster Stelle steht, ist Ausdruck der immer noch restriktiven Gewährungspraxis der Jugendämter, die der Gründungsimpuls für den KJRV war.
Zwischen 2017 und 2019 sind in Leipzig und Chemnitz zwei weitere Standorte in Sachsen aufgebaut worden. Seit 2020 leisten wir Ombudschaftliche Beratung für das gesamte Bundesland Sachsen.
Ombudschaftliche Arbeit ist mehr als Ombudschaftliche Beratung
Im Kinder- und Jugendhilferechtsverein e.V. vertreten wir den Anspruch, die individualisierte Beratung einzelner Ratsuchender in Form von Information, Beratung und Begleitung um die Dimension der Ermöglichung politischen Handelns zu erweitern. Schließlich ändert ja allein die Beratung im Einzelfall in der Regel nur etwas für den Einzelfall und wenig an der Struktur. Dieses erweiterte Verständnis ombudschaftlicher Beratung bezeichnen wir als „Ombudschaftliche Arbeit“, weil sie über die reine ombudschaftliche Beratung im Einzelfall hinausgeht.
„Ombudschaftliche Arbeit“ wird von uns somit als Möglichkeitsraum verstanden, der (1) durch die Information Ratsuchender, (2) ihre individuelle Beratung und (3) Begleitung bis hin zur (4) Ermöglichung politischen Handelns gefüllt wird.
Diese vier Dimensionen können zu jeder Zeit ausgeschöpft werden, müssen dies jedoch nicht: nicht jede Beratungsanfrage muss zu einem Zusammenschluss Einzelner zu einer agierenden Gruppe führen, ebenso wenig wie es notwendig ist, jeden Ratsuchenden zu einem Hilfeplangespräch in das Jugendamt zu begleiten. Eine wichtige Voraussetzung für die praktische Umsetzung einer so ausgerichteten „Ombudschaftlichen Arbeit“ ist allerdings, dass die in der Ombudschaft tätigen Menschen sich diesen vier Dimensionen grundsätzlich verpflichtet fühlen.
Dies beginnt aus unserer Sicht bereits damit, dass Ratsuchenden Räume und Orte bereitgestellt und angeboten werden, in denen sie sich zunächst begegnen und zusammenschließen können. Innerhalb dieser Räume und an diesen Orten kann dann z.B. biographisches Erzählen ermöglicht werden, kann Vermittlung von Wissen über Strukturen, Logiken und Entwicklungen stattfinden und besteht die Chance, Selbsthilfestrukturen in den Gruppen zu befördern. Daraus kann politisches Handeln entstehen, z.B. in Form von Protestbekundungen, öffentlichkeitswirksamen Aktionen bis hin zur Auseinandersetzung mit Verantwortlichen aus der Verwaltung, etwa mit dem Ziel der Ermöglichung der Mitbestimmung in Planungsprozessen.
Solche ideellen und materiellen Räume können damit zum Schauplatz jener Verwandlungen werden, die im Sinne Hannah Arendts (Arendt 2018, S. 73) aus den unsichtbaren und vermeintlich bedeutungslosen Erfahrungen von einzelnen Angelegenheiten für den öffentlichen Raum werden lassen. Jeder Mensch trägt den Wunsch und die Fähigkeiten in sich, sich gestaltend in die Welt einzubringen, die uns alle angeht. Diesem Glauben an den Menschen sollte sich, so denken wir, Ombudschaftliche Arbeit verpflichtet fühlen.
Damit ist jeder Ratsuchende für uns auch ein potentiell politisch Handelnder. Ein solches Verständnis Ombudschaftlicher Arbeit vermag vielleicht dazu beizutragen, dass die Praxis der Kinder- und Jugendhilfe zu einem Ort wird, an dem Familien das erhalten, was ihnen durch das Kinder- und Jugendhilfegesetz versprochen ist: unkomplizierte, zeitnahe, nicht stigmatisierende und wertschätzende Unterstützung.
Ermöglichung Politischen Handelns
Schnell nach der Gründung war klar, dass es perspektivisch hauptamtliche Unterstützung brauchte. Das Angebot der ombudschaftlichen Beratung hatte sich schnell in Dresden herumgesprochen und schon im ersten halben Jahr 2013 hatten sich 56 Personen an den KJRV gewandt mit der Bitte um Beratung. Zwischen 2014 und 2017 hat der Verein mit Unterstützung der Aktion Mensch das Projekt NotEingang. Rechte haben – Recht und Hilfe bekommen in der Kinder- und Jugendhilfe in Sachsen umgesetzt, in dessen Verlauf die ombudschaftliche Arbeit ausgebaut wurde und auch eine erste Personalstelle geschaffen werden konnte.
Außerdem wurden erfolgreich Projekte mit Kindern und Jugendlichen, die in der Heimerziehung leben (Muskepeer), und Eltern, deren Kinder in der Heimerziehung leben (Löweneltern) umgesetzt. In diesen Projekten wurden an insgesamt 17 Seminarwochenenden zwei Broschüren aus Sicht von Betroffenen (Jugendlichen/Eltern) zu Rechten in der Hilfeplanung entwickelt (Deine Rechte im Hilfeplanverfahren und Löweneltern. Ich will das Beste für mein Kind, wer hilft mir dabei?), ein Starterpaket für die Heimerziehung und eine Wanderausstellung zur Heimerziehung entwickelt.
Damit stehen seitdem Informationsmaterialien zur Verfügung, die konkret die Weiterentwicklung der Jugendhilfe befördern und Betroffenen eine Stimme verleihen. Die beiden Broschüren sind rund 30.000 Mal in der gesamten Bundesrepublik auf Bestellung verschickt worden. Die Ausstellung wurde an zehn Orten in Deutschland und der Schweiz gezeigt.
Zentrum dieser Arbeit mit „Betroffenen“ im Projekt NotEingang war die Zurverfügungstellung von Räumen und Orten.
In diesen 17 mehrtägigen Begegnungen zwischen Eltern im Projekt Löweneltern und Jugendlichen im Projekt Muskepeer sind Prozesse angestoßen worden, die Menschen zusammengebracht haben, um sich (1) gegenseitig ihre Geschichten zu erzählen, (2) zu entdecken, welche gemeinsamen Erfahrungen sie haben und die (3) dazu geführt haben, dass sie gemeinsame Forderungen an die Jugendhilfe entwickelt haben. Darüber hinaus haben sie (4) Fachkräften in vielen Veranstaltungen ihre Sicht auf die Kinder- und Jugendhilfe geschildert und ausgeführt, was anders werden muss (auf Fachtagungen, Seminaren, Fortbildungen, Ausstellungseröffnungen etc.). In einigen Fällen haben sie auch (5) Fachbeiträge in Fachbüchern und Fachzeitschriften veröffentlichen können.
Im Projekt Muskepeer haben wir seit 2014 mit insgesamt 30 jungen Menschen gearbeitet, die sich selbständig und freiwillig im Projekt zusammengeschlossen hatten. Nach Ende des Projekts wollten die jungen Menschen sich weiterhin treffen. Gemeinsam mit den jungen Menschen und der Drosos Stiftung haben wir im Jahr 2019 das Careleaver-Zentrum House of Dreams (HoD) in Dresden aufgebaut. Careleaver:innen sind (junge) Menschen, die in der Jugendhilfe leben oder gelebt haben und diese Hilfen absehbar verlassen werden oder schon verlassen haben.
Careleaver:innen haben spezifische Probleme im Übergang und nach dem Übergang aus der stationären Jugendhilfe. Das HoD ist ein Ort, der gleichermaßen Treffpunkt für Careleaver:innen ist, an dem Informationen vorgehalten und (peer-)Beratung ermöglicht wird, der in Selbstverwaltung von Careleaver:innen gestaltet wird und auch ein politischer Ort ist. Hier bündeln sich viele Projekte, werden Schnittstellen gestaltet, Projektanträge geschrieben, Themenabende veranstaltet, Forderungspapiere geschrieben etc.
Im Jahr 2018 setzte der Verein mit Unterstützung der Aktion Mensch, des Deutschen Kinderhilfswerks und der Outlaw Stiftung das Projekt Abreißkalender – In 100 Schritten in die Selbständigkeit um. In diesem Projekt ging es um die Entwicklung eines Abreißkalenders, der die letzten 100 Schritte aufzeigt, die Careleaver gehen sollten, um selbständig in der eigenen Wohnung und im selbständigen Leben anzukommen. Diese 100 Schritte haben Careleaver:innen aus ihrer eigenen Erfahrung heraus in Workshops entwickelt. Der Abreißkalender ist seit Mai 2019 veröffentlicht und wurde in rund 7.000 Exemplaren auf Bestellung bundesweit an Careleaver:innen sowie an öffentliche und freie Träger der Jugendhilfe verschickt. Außerdem werden die 100 Schritte auf der Homepage www.100schritte.de präsentiert.
Zwischen November 2018 und April 2019 hat der KJRV das Projekt „Für eine Erziehung in Freiheit und Würde – Informationen von Jugendlichen für Jugendliche zur Umsetzung des neuen § 1631b BGB“ – Workshops und Broschüre zur Aufklärung mit Unterstützung der Aktion Mensch durchgeführt. Ziel des Projektes war es, gemeinsam mit Jugendlichen, die von Zwangselementen in Jugendhilfe und Psychiatrie betroffen waren, eine Informationsbroschüre für Jugendliche zur Aufklärung über die Rechtslage zu freiheitsentziehenden Maßnahmen zu entwickeln. Damit wird ein Beitrag für eine integrierende und inklusive Praxis der Kinder- und Jugendhilfe geleistet. Junge Menschen sollen ihre Rechte, Handlungs-, Beteiligungs- und Unterstützungsmöglichkeiten kennen. Dazu wurden Workshops und eine Fachveranstaltung zur öffentlichen Vorstellung der Broschüre an verschiedenen Orten bundesweit durchgeführt (www.freiheitsentzug.info).
Als Reaktion auf einen Offenen Brief aus dem 1631b-Projekt sind die beteiligten jungen Menschen als „Betroffene“ eingeladen worden, an einem Leitlinien-Prozess der medizinischen Fachgesellschaften teilzunehmen, in dem Fachstandards definiert werden sollen für den Umgang mit jungen Menschen in der geschlossenen Psychiatrie. Solche Leitlinien gibt es bisher nicht. Der KJRV begleitet die jungen Menschen in diesem Prozess.
Die zentralen Prozesse der Jugendhilfe werden vor Ort gestaltet. Der Jugendhilfeausschuss einer Kommune bestimmt über Schwerpunkte der Arbeit eines Jugendamtes, Weiterentwicklungen in der Kinder- und Jugendhilfe vor Ort und über Fördergelder. Seit 2019 hat der KJRV einen Sitz im Jugendhilfeausschuss Dresden. Als einer der zwei Stellvertreter:innen auf diesem Sitz ist ein Careleaver aus dem HoD vom Stadtrat berufen worden. Wir nutzen die Einflussmöglichkeiten, die mit dem Sitz verbunden sind. Außerdem werden Themen aus dem Jugendhilfeausschuss in das HoD getragen.
Im Jahr 2020 hat der KJRV in Zusammenarbeit mit der IGFH und dem CARELEAVER e. V. die Beteiligungswerkstatt Careleaver im Rahmen des bundesweiten Projektes „Zukunftsforum Heimerziehung“ durchgeführt. In diesem Projekt haben 16 Careleaver:innen aus dem gesamten Bundesgebiet gemeinsam ihre Sicht auf die Heimerziehung reflektiert und gemeinsame Positionen zur Zukunft der Heimerziehung entwickelt. Herausgekommen ist ein Positionspapier der Careleaver zur Zukunft der Heimerziehung, das im Januar 2022 der Staatssekretärin Caren Marks im BMFSFJ sowie Fachpolitiker:innen des Deutschen Bundestages vorgestellt wurde und bundesweit in die Fachdebatten eingespeist wird.
Selbstvertretung in der Kinder- und Jugendhilfe hat keine große Tradition. Erst mit dem Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) hat das Thema 2021 Eingang ins Kinder- und Jugendhilfegesetz gefunden. So können sich auf der einen Seite junge Menschen und auf der anderen Seite Eltern, die mit der Kinder- und Jugendhilfe zu tun haben, zusammenschließen und ihre Interessen gemeinsam vertreten (§ 4a SGB VIII). Die Jugendhilfe soll auf Augenhöhe mit ihnen zusammenarbeiten. Solche Ansätze sind in den Projekten des KJRV auch vor 2021 zu finden.
Seit August 2022 gibt es explizit ein Projekt im KJRV, in dem junge Menschen ihre Interessen selbst vertreten sollen. Unter dem Arbeitstitel „Landesjugendkonferenz“ soll ein Landesheimrat für Sachsen aufgebaut werden.
Junge Menschen, die in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe in Sachsen leben, sollen eine Plattform nach ihren Vorstellungen bilden, die (1) Begegnungen zwischen ihnen ermöglicht, sie (2) gemeinsame Erfahrungen und Probleme erkennen lässt, (3) einen Ort darstellt, an dem junge Menschen angstfrei ihre Stimme erheben können, (4) ihre Interessen bündelt und an Träger, Einrichtungen und gegenüber (Fach)Politik und Öffentlichkeit weitergibt und (5) sich perspektivisch zu einer Struktur von Selbstvertretung entwickeln kann. Damit soll ein Beitrag geleistet werden, die Praxis stationärer Erziehungshilfen in Sachsen unter Beteiligung von jungen Menschen aus der
Erziehungshilfe beteiligungsorientiert weiterzuentwickeln.
All diese Projekte im KJRV haben zum Ziel, zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe unter Einbeziehung der Betroffenen beizutragen. Sie alle sind Bestandteil ombudschaftlicher Arbeit. Die verschiedenen Projekte im KJRV beziehen sich aufeinander und profitieren voneinander. Der Verein setzt sich damit ein für eine bedarfs- und leistungsgerechte Jugendhilfe, die tatsächlich Unterstützung ist für Menschen. Wir unterstützen sie dabei, zu ihrem Recht kommen.
Björn Redmann ist Diplom-Sozialarbeiter/-Sozialpädagoge (FH), Master of Arts, und Gesamtprojektkoordinator im Kinder- und Jugendhilferechtsverein e.V. in Dresden.
Literatur
Arendt, H. (2018): Vita activa oder Vom tätigen Leben. 19. Aufl., München & Zürich.
AKJStat (Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik) (Hrsg.) (2012): Monitor Hilfen zur Erziehung 2012. Forschungsverbund DJI/TU Dortmund an der Fakultät 12 der Technischen Universität Dortmund.
AKJStat (Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik) (Hrsg.) (2014): Monitor Hilfen zur Erziehung 2014. Forschungsverbund DJI/TU Dortmund an der Fakultät 12 der Technischen Universität Dortmund.
AKJStat (Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik) (Hrsg.) (2018): Monitor Hilfen zur Erziehung 2018. Forschungsverbund DJI/TU Dortmund an der Fakultät 12 der Technischen Universität Dortmund.
BNO (2021): Selbstverständnis. Hrsg. vom Bundesnetzwerk Ombudschaft in der Jugendhilfe e.V. https://ombudschaft-jugendhilfe.de/wp-content/uploads/BNO_Selbstverstaendnis_2021_09_23.pdf (Abruf am 16.3.2023).
Redmann, B. (20119: „Es fehlen Respekt, Achtung und Anstand“. In: Corax. Magazin für Kinder- und Jugendarbeit 2/2011.
Thurm, E., Redmann, B. (2023): Wie junge Menschen und Eltern im Kontext der Jugendhilfe in (ihrer) Selbstorganisation unterstützt werden können. In: Forum Erziehungshilfen 29. (1), S. 15-19.
Urban-Stahl, U. (2022): Macht(asymmetrien) in institutionellen Beziehungen. In: Andrea Len, Melissa Manzel, Lydia Tomaschowski, Björn Redmann und Peter Schruth (Hrsg.): Ombudschaft in der Kinder- und Jugendhilfe. Grundlagen – Praxis – Recht. Weinheim und Basel, S. 138-163.
Wölfel, U. von, Redmann, B. (2020): Ombudschaftliche Arbeit und Empowerment. Von der individuellen Information zur gemeinsamen politischen Aktion. In: Ulrike von Wölfel und Björn Redmann (Hrdg.): Bildung am Rande. Warum nur gemeinsam mit Adressat_innen in der Jugendhilfe Bemächtigungsprozesse initiiert werden können. Weinheim und Basel, S. 107-127.
von Björn Redmann
Zitiervorschlag: Redmann, Björn (2023): Aus Empörung: Ombudschaftliche Beratung + Ermöglichung politischen Handelns = Ombudschaftliche Arbeit, in: frühe Kindheit 03/2023, S. 54-57