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Nachruf auf Hartmut Mann.

Ich habe Hartmut Mann nur ein einziges Mal wirklich wütend erlebt. Wir kamen gerade aus einem Termin in Chemnitz und hatten noch etwas Zeit. So, wie wir immer mal wieder solche Zeiten genutzt haben – vor oder nach Terminen. Zum Sprechen, zum thematischen Abtasten, zur Orientierung. Wobei Hartmut immer der war, der besser informiert war. Es ging wie so häufig, um Jugendhilfe im Kleinen und im Großen gleichermaßen. Es war die Zeit, in der sich die Themen Fachkräftemangel und Umgang mit geflüchteten jungen Menschen unselig kreuzten. So lange ist es also nicht her. Die sächsische Landesregierung hatte einen sogenannten „Erlass“ veröffentlicht. Dieser erlaubte die Unterbringung von Jugendlichen, die eine Flucht hinter sich hatten,

 in Aufnahmeeinrichtungen für Erwachsene. Außerdem wurden die Standards für alle geflüchteten Kinder und Jugendliche deutlich abgesenkt – personell, räumlich, fachlich. Das brachte ihn unheimlich auf. Er nutzte Schimpfwörter – das war eigentlich nicht seine Art. Er verstand nicht, warum die politisch Verantwortlichen sich bewusst gegen Kinder und Jugendliche entschieden hatten und welche Folgen das haben würde. Ähnlich war es bei Geschlossener Unterbringung von jungen Menschen in der Kinder- und Jugendhilfe – er wurde wütend ob der Menschenrechtsverletzungen und der nachgewiesenen Unwirksamkeit solcher Zwangsmaßnahmen. Selten aber fiel er aus der Rolle.

Hartmut Mann starb am 17. Mai 2024 völlig unerwartet. Er war mehr als 20 Jahre als Jugendhilfereferent des Paritätischen tätig und außerdem im Ehrenamt Erster Vorsitzender des Kinder- und Jugendhilferechtsverein e.V. Und Hartmut war ein Familienmensch – seine Frau und seine drei Kinder vermissen ihn schmerzhaft – erlebt haben wir sie bei der Beerdigung inmitten von hunderten anderen Trauernden. Es war spürbar, welche Verbindung sie zueinander hatten.

Hartmut war ein allseits geschätzter Kollege und Ratgeber für viele Menschen, die in der Jugendhilfe aktiv waren. Er war ungeheuer freundlich und fast immer ausgeglichen. Er war ein Erklärer komplizierter Prozesse und Zusammenhänge, er war engagiert und hatte stets die Interessen von jungen Menschen und Eltern im Blick. Er hat Veranstaltungen und Tagungen organisiert, hat in unzähligen Gremien mitgearbeitet, war viele Jahre im Landesjugendhilfeausschuss aktiv, hat Träger in Entgeltverhandlungen begleitet, Politik und Verwaltung beraten, Jugendämter unterstützt und so viel anderes. Er war ein mitfühlender, gütiger Mensch. Er war immer auf der Suche nach guten Lösungen und hat Zuversicht verbreitet, was in den letzten Jahren immer schwerer wurde. Er hat ja überwiegend in Sachsen gewirkt. Hartmut sah sich als Hüter von Fachstandards in der Kinder- und Jugendhilfe – dafür hat er viel Gegenwind bekommen und trotzdem ausgehalten. Hartmut hat mit unzähligen Kolleg:innen viele Themen bewegt. 

Ihm war es immer wichtig, dass junge Menschen individuelle Unterstützung bekommen und die dafür nötigen Strukturen und Prozesse entwickelt werden, sie tatsächlich verfügbar sind. Da stieß er natürlich an Grenzen. Vor zwei Jahren haben wir dann die Idee eines Landesheimrats gemeinsam entwickelt. Es bot sich nach der Reform des SGB VIII die Chance, über den neuen § 4a junge Menschen strukturiert in die Fachdiskurse und Entscheidungen einzubinden. Das hat er als Möglichkeit gesehen, einiges in Bewegung zu bringen. Das Land wollte solch eine Struktur. Gemeinsam sind wir nach Chemnitz gefahren, um das Projekt zu verhandeln. Auf der Fahrt schwirrte mir bald der Kopf – 50 Minuten brauchte es mit Hartmut und ich war wieder informiert über alles, was auf Landesebene sich entwickelte. Und ich wusste, als wir in Chemnitz ankamen, wer welche Position zu welchem Thema vertrat und wie er vorhatte, diese in Bewegung zu bringen.

Er hatte immer Pläne und ausgetüftelte Strategien. Ich war fertig, als wir in Chemnitz ankamen. Das Projekt ist geworden und läuft heute unter dem Titel „Landesjugendkonferenz Sachsen“. Vierzehn junge Menschen vertreten als Sprecher:innen die jungen Menschen aus Heimen und Wohngruppen. Auch irgendwie eine wilde Geschichte mit Hartmut.
Wir werden die weiteren Kämpfe um die Jugendhilfe ohne Hartmut führen müssen. Er wird aber in meinem Hinterkopf bleiben als Mahnung, die Interessen der Adressat:innen der Jugendhilfe zum Ausgangspunkt aller Aktivitäten zu machen. Danke Hartmut.

Björn Redmann
Gesamtkoordinator Kinder- und Jugendhilferechtsverein e.V.
redmann@kjrv.de