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Fachtag des Kinder- und Jugendhilferechtsvereins in Leipzig

Am 03. Dezember 2024 fand in Leipzig der diesjährige Fachtag des Kinder- und Jugendhilferechtsvereins statt. Es war ein Tag mit vielen spannenden Inhalten, Gedankenanstößen und kritischen Betrachtungen. Neben dem gesamten Team des KJRV waren u.a. mit dabei Prof. Ullrich Gintzel, die Sprecher:innen der Landesjugendkonferenz Leon Ziegner und Cora Zschocke, Janina Bittner vom Amt für Jugend und Familie der Stadt Leipzig sowie Dr. Elke Alsago, Dr. Vinzenz Thalheim, Dr. Frank Bettinger und viele weitere Kolleg:innen.

Am 3. Dezember 2024 lud der Kinder- und Jugendhilferechtsverein e.V. in die Martin Andersen Nexö-Einrichtung in Leipzig zum diesjährigen Fachtag ein, der unter dem Thema „Unter Druck! Jugendhilfe zwischen Stigmatisierung, Stärkung und Bemächtigung“ stand.

Die Veranstaltung brachte Fachkräfte sowie Adressat:innen aus verschiedenen Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe aus Sachsen und bundesweit zusammen. Ziel der Fachtagung war es, die aktuelle Lage der Kinder- und Jugendhilfe zu reflektieren und bestehende Herausforderungen und Ansätze einer zukunftsorientierten Weiterentwicklung zu diskutieren. Durch den Tag führte und moderierte Henriette Grapentin von der Fachstelle Leipzig des Kinder- und Jugendhilferechtsverein.

Der Fachtag startete mit einer Begrüßung durch Prof. Ullrich Gintzel, Vorstand des Kinder- und Jugendhilferechtsvereins e. V., der in seiner Ansprache die Dringlichkeit hervorhob, sich den Spannungsfeldern innerhalb der Kinder- und Jugendhilfe zu stellen. Darauf folgte eine Einführung der Sprecher:innen der Landesjugendkonferenz, Cora Zschocke und Leon Ziegner, die die Sichtweise von jungen Menschen in den stationären Hilfen zur Erziehung in den Fokus rückten und auf die Bedeutung von Selbstvertretung und Mitsprache hinwiesen. Ein Grußwort von Janine Bittner, Abteilungsleiterin Jugendhilfe und derzeitige kommissarische Leitung des ASD im Amt für Jugend und Familie der Stadt Leipzig, schloss die Eröffnung ab und stellte die Bedeutung der Veranstaltung im Kontext kommunaler Jugendhilfestrukturen heraus.

Im ersten Teil der Tagung standen Bestandaufnahmen, Analysen und Zustandsberichte im Mittelpunkt. Zwei Vorträge bildeten die Grundlage für eine intensive Auseinandersetzung mit der aktuellen Lage der Kinder- und Jugendhilfe. Zunächst sprach Dr. Elke Alsago, Leiterin der Bundesfachgruppe Erziehung, Bildung und Soziale Arbeit von ver.di, über die Belastungen, unter denen Fachkräfte in der Jugendhilfe arbeiten, und wie diese sich auf die Qualität und den Anspruch der Arbeit auswirken. Ihr Vortrag mit dem Titel „Wer hilft noch – bevor das Kind in den Brunnen fällt?“ verdeutlichte eindrücklich, wie der zunehmende Druck auf Fachkräfte deren Arbeit erschwert. Im zweiten Vortrag beleuchtete Dr. Vinzenz Thalheim von der Universität Kassel das Thema „Stigmatisierung und professionelles Handeln in der Kinder- und Jugendhilfe“. Er stellte die bedingungslose Jugendhilfe als einen diskussionswürdigen Ansatz vor, um dem Problem der Stigmatisierung von Hilfeadressat:innen zu begegnen. Beide Vorträge stießen auf großes Interesse und wurden in Fragerunden mit einer regen Beteiligung der Anwesenden diskutiert.

Nach einer Pause mit Mittagsimbiss begann der zweite Teil des Fachtags, der den Fokus auf mögliche Wege zur Stärkung und Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe legte. Die Teilnehmenden hatten die Möglichkeit, eines von acht Foren zu besuchen, die jeweils unterschiedliche Perspektiven und praxisorientierte Ansätze präsentierten. Themen waren unter anderem die Rolle der Ombudschaft, die Bedeutung von Sprache und Machtverhältnissen in der Kinder- und Jugendhilfe, das Bremer Projekt „Port Nord“ sowie die Herausforderungen und Potenziale von Selbstvertretungen. Weitere Foren beschäftigten sich mit kritischen Themen wie der Absenkung von Fachstandards oder der Verwendung behavioristischer Methoden wie Stufen- und Verstärkerplänen, die kontrovers diskutiert wurden. Ein Forum stellte darüber hinaus das genossenschaftliche Projekt „Stadtteilgenossenschaft Horn“ zur lebensweltorientierten Unterbringung vor.

Nach einer Kaffeepause endete die Veranstaltung mit einem inspirierenden und leidenschaftlichem Abschlussvortrag von Dr. Frank Bettinger von der Berufsakademie Wilhelmshaven. In seinem Vortrag „Jugendhilfe überwinden? Verteidigen, kritisieren, überwinden zugleich: Stichworte für eine stigmatisierungsfreie Unterstützungsstruktur für ein gelingendes Aufwachsen junger Menschen“ plädierte er für ein grundlegendes Umdenken nicht nur im System der Kinder- und Jugendhilfe, sondern im Besonderen in der Ausbildung von Sozialarbeiter:innen und Sozialpädagog:innen. Bettinger hob hervor, dass der Druck, unter dem die Praxis stehe, nicht zu Resignation führen dürfe, sondern in Energie für notwendige Veränderungen umgewandelt werden müsse. Den Abschluss der Tagung bildeten die Worte von Björn Redmann, Gesamtproektkoordinator des Kinder- und Jugendhilferechtsvereins e. V.

Der Fachtag zeigte eindrucksvoll die Spannungsfelder der Kinder- und Jugendhilfe auf: Einerseits stehen den ambitionierten Zielen und den erweiterten Zuständigkeiten der Jugendhilfe so viele finanzielle und personelle Ressourcen wie nie zuvor zur Verfügung. Andererseits wird deutlich, dass das System in vielen Bereichen hiner den eigenen Ansprüchen zurückbleibt und die Versprechen der Reform zu oft unerfüllt bleiben. Die vorgestellten Projekte und Ansätze lieferten wichtige Impulse für eine Jugendhilfe, die stärker, beteiligungsorientierter und inklusiver werden kann. Entscheidend bleibt, dass alle Beteiligten – Fachkräfte, Adres-sat:innen und politische Akteur:innen – den eingeschlagenen Weg gemeinsam weitergehen, sich konstruktiv auseinandersetzen, aber auch gleichzeitig kritisch um Inhalte ringen, um die Kinder- und Jugendhilfe nachhaltig zu verbessern.

Wir bedanken uns sehr bei allen Mitwirkenden für die Unterstützung des Fachtags.

Die Tagungsdokumentation wird ab Januar 2025 online verfügbar sein.